Tagebuch von Eden

11. Februar 2003
(Morgens:)
Vermutlich bin ich selbst derjenige, für den dieses Experiments eines Tagebuchs am spannendsten ist. Vielleicht stehen hier irgendwann Einträge wie: „Heute zehn Seiten geschrieben. Laptop kaputt. Weiter am PC gearbeitet.“ Möglicherweise wird aber auch das eine oder andere Interessantere dabei sein. Ich habe keinen konkreten Plan, nicht mal eine vage Vorstellung, wie das Ganze laufen wird. Also: Willkommen an Bord, wir werden gemeinsam sehen, wohin die Reise geht.

Und noch etwas Technisches: Ich werde jeden Beitrag nach dem Eintippen einmal überfliegen, je nach Zeit und Laune – es wird also vermutlich ab und an Tippfehler geben, vielleicht sogar Schlimme, Offensichtliche („Und so was ist Schriftsteller?“), aber da dieses Journal nicht mehr Zeit als nötig in Anspruch nehmen soll, bitte ich gleich im Vorfeld für alle Fehler, Buchstabendreher und Kommakatastrophen um Verzeihung.

Was ist MAGNUS? Nun, ich weiß es schon recht genau, werde aber hier zu einem so frühen Zeitpunkt noch nicht viel Inhaltliches erzählen. Allerdings werde ich während der nächsten Wochen der Recherche diverse Bücher erwähnen, die ich für den Hintergrund des Romans lese – der eine oder andere kann daraus vielleicht schon ein paar Details ableiten. Gespannt bin ich auch, ob es jemanden gibt, der die Bücher parallel zu mir lesen wird und womöglich mit seinen eigenen Spekulationen über den Plot aufwartet. Ihr seid dazu herzlich eingeladen!

Am vergangenen Freitag habe ich den dritten Band meiner neuen Jugendbuch-Trilogie für den Loewe-Verlag abgeschlossen. Die Korrektur steht noch aus. Aber da ich dem Lübbe-Verlag, dem neuen Herausgeber meiner „Erwachsenen“-Romane, das MAGNUS-Konzept schon im Januar versprochen hatte, werde ich mich nun erstmal daran setzen. Das bedeutet: Recherche und Verfassen des Konzepts bis ca. Ende Februar/Anfang März, zwischendurch Fahnen-Korrigieren des ersten Trilogie-Bandes; danach die Manuskript-Korrektur des dritten Bandes; dann Schreiben von MAGNUS (ab ca. Mitte März). Soweit die Planung. Wahrscheinlich wird wieder alles ganz anders laufen.

Die ersten Recherchen zu MAGNUS habe ich nebenbei seit November betrieben, das heißt: diverse Sachbücher, Artikel usw. gelesen und dazu einen Berg Notizen gemacht. In den nächsten Wochen werden es noch viel mehr werden.

Aber zuerst ein paar Eckpunkte in Stichwortform. MAGNUS spielt im Hochmittelalter. Es geht in gewisser Weise – schon wieder – um eine Reise. MAGNUS ist eine Abenteuergeschichte, mit zwei Protagonisten und diversen Nebenfiguren. Das muss vorerst reichen.

Über das Mittelalter schreibe ich nicht zum ersten Mal, und so kommen mir heute viele Recherchen zugute, die ich vor Jahren für DER RATTENZAUBER und LORELEY angestellt habe. Viele Bücher über so allgemeine Themen wie „Leben im Mittelalter“ oder „Magie im Mittelalter“, „Burgenbau“ und „Rittertum“ muss ich nur aus dem Regal nehmen und darin die alten Textmarkierungen überfliegen. Aber schon in den vergangenen Monaten ist neue Sekundärliteratur dazugekommen, u.a. „Albert der Große“ von Meinolf Lohrum und Teile von „Reisen im Mittelalter“ von Norbert Ohler (ein Buch, mit dem ich schon lange arbeite), außerdem Felix Fabris „Galeere und Karawane“. Letzteres ist einer von rund zehn Bänden aus der wunderbaren „Edition Erdmann“, die hier für MAGNUS rumliegen – einem Verlag übrigens, den ich erst Ende vergangenen Jahres entdeckt habe und der großartige alte Reiseberichte neu auflegt. Wirklich toll, mit schön aufgemachten Gesamtprogrammen, aus denen ich am liebsten jeden einzelnen Band bestellt hätte.

Gut, gestern also weiter im Fabri gelesen, außerdem einen Artikel über Höhlenburgen, einen anderen über eine ganz bestimmte Schlucht in den Ostalpen und ein wenig über Kultstätten in den Alpen. Im Buch selbst steht das nicht chronologisch am Anfang, ist aber egal. Hatte ich erstmal am meisten Lust drauf. Schon ein paar nette Details gefunden, außerdem mindestens zwei geplante Schauplätze (kann sich aber noch ändern). Heute vielleicht mehr Lektüre, oder erstmal ein paar Mittelalter-Filme auf DVD, die ich seit Ewigkeiten anschauen will – Recherche kann eben auch eine gute Entschuldigung für so was sein.

(Abends:)
Heute verschiedene Filme angeschaut, natürlich alles im hehren Namen der Recherche: „Andrei Rublev“, nach einer halben Stunde ausgemacht (definitiv nichts für den frühen Vormittag, wenn auch nicht uninteressant); „Excalibur“ mit Audiokommentar des Regisseurs John Boorman (im Schnelldurchlauf, da Kommentar zu dröge; hin und wieder an den tollen Bildern hängen geblieben und mich daran erinnert, dass ich nach dem ersten Ansehen dieses Films mit zwölf meine erste Pizza Funghi gegessen habe); „Macbeth“ von Roman Polanski, absolut großartig (und ich kann mir nicht helfen: genau wie dieser Film hätten die Rohan-Szenen in „Die Zwei Türme“ ausgesehen, wenn Peter Jackson nicht beschlossen hätte, sie im Stakkato-Tempo zu montieren); „Perceval“ von Eric Rohmer, siehe „Andrei Rublev“, nur weniger interessant; „Roland“ mit Klaus Kinski, siehe „Perceval“ und „Andrei Rublev“, nur noch … na ja, schon klar, glaube ich. Zuletzt die sehr hübsche Arte-Dokumentation „Zur Zeit der Kreuzzüge“. Lief vor ein paar Wochen, damals aufgenommen, jetzt angesehen.
Insgesamt eher ein Tag um in Stimmung für den Roman zu kommen, keine Notizen gemacht. Ach ja, und wann werde ich endlich lernen, dass einem nach einer Tüte Katjes-Tropenfrüchte beim Fernsehen immer schlecht werden MUSS?

12. Februar 2003
Heute morgen einen Interview-Fragebogen für mdr.de ausgefüllt. War sehr überrascht über die guten Fragen; das gibt´s leider nur selten. Das Ganze sollte in den nächsten Wochen auf der mdr-Homepage auftauchen.

Danach dann gleich die Fahnen des ersten Trilogie-Bandes in der Post gefunden. Hurra. Was genau Fahnen sind, wie sie aussehen und was man damit anstellt (und warum ich die Arbeit daran so hasse) erzähle ich in ein paar Tagen, wenn ich wohl nicht mehr darum herum komme, mich tatsächlich damit zu beschäftigen.

Zu guter Letzt dann doch noch ein wenig Sekundärliteratur gelesen, vor allem „Reisen im Mittelalter“. Mehr muss man über das Mittelalter eigentlich nicht wissen. Vergesst die Namen, Daten und Schlachten – wer erst einmal weiß, auf welch abenteuerliche Weise sich die Leute damals von A nach B bewegt haben, hat vermutlich mehr über dieses Zeitalter gelernt als in zehn Jahren Geschichtsunterricht. Ist mein Eindruck. Kann aber täuschen. Und natürlich wird es wieder Schelte von Lehrern geben.

13. Februar 2003
Die Theorie zum Thema „Reisen im Mittelalter“ heute beendet. Noch spannender sind vermutlich die tatsächlichen Berichte der Reisenden, die ich mir in den nächsten Tagen vornehmen will. Konnte früher nie verstehen, was jemand an schriftlichen Reiseberichten findet. Jetzt werde ich noch zum Fan. Passenderweise läuft im Hintergrund gerade „Ritter der Kokosnuss“ auf Arte. Lange nicht gesehen, immer noch witzig. Trotz (oder gerade wegen?) der deutschen Synchronisation.

14. Februar 2003
Heute erstaunlich viel geschafft. Zwei hervorragende Bücher quer gelesen: „Erde und Kosmos im Mittelalter“ von Rudolf Simek und „Leben im Mittelalter“ von Hans-Werner Goetz. Beide habe ich schon für DER RATTENZAUBER benutzt, war aber erstaunt, wie viel ich bereits wieder vergessen hatte. Toll das Kapitel über mittelalterliche Kartographie in Simeks Buch. Über Alltag im Mittelalter gibt es Dutzende Bücher, aber m.E. wenige Autoren, die das Thema so gut zusammenfassen wie Hans-Werner Goetz. Seitenweise Notizen gemacht – und die komplette Reiseroute meiner Protagonisten über den Haufen geworfen und neu konzipiert.

18. Februar 2003
Magie im Mittelalter ist ein merkwürdiges Thema. Zum einen ist weit mehr Sekundärliteratur darüber geschrieben worden, als man annehmen sollte. Zum anderen stellt es mich vor ein altes Problem: Wie phantastisch soll MAGNUS sein? Keinesfalls soll das Ganze ein reiner Fantasy-Roman werden, denke ich, auch wenn der eigentliche Aufhänger in gewisser Weise „magisch“ ist. Andererseits liegt es mir ziemlich fern, einen durch und durch realistischen Roman über diese Zeit zu schreiben. (Ich denke, DER RATTENZAUBER war so realistisch, wie es mir eben möglich war, LORELEY dagegen eine Spur phantastischer als MAGNUS womöglich sein wird – aber genau weiß ich das jetzt noch nicht, das wird sich erst beim eigentlichen Schreiben ergeben. Und auch dann womöglich erst im Rückblick, also bei der ersten Korrektur, wenn ich manchmal selbst überrascht bin, welchen „Ton“ die Geschichte im Zusammenhang bekommen hat, wie real oder irreal die einzelnen Episoden in ihrer Gesamtheit wirken. DAS ZWEITE GESICHT, zum Beispiel, erscheint den meisten Lesern offenbar viel realistischer, als ich es beabsichtigt hatte, auch wenn das Buch voll ist mit phantastischen Details. Der Prolog etwa spielt mit Erscheinungen, Visionen usw., die im Grunde direkt aus der Horrorliteratur stammen (wie überhaupt vieles im ZWEITEN GESICHT), werden aber von Mainstream-Lesern interessanter Weise nicht so wahrgenommen. Die Emotion sollte bei den meisten Lesern dieselbe sein, nur geben sie der Sache unterschiedliche Namen.)

Zurück zur Magie im Mittelalter. Umberto Ecos BAUDOLINO ist ein Roman, der so in jeder Fantasy-Reihe hätte erscheinen können. Aber die breite Masse liest ihn als historischen Roman, in dem es ab und an mit der Wahrhaftigkeit ein wenig drunter und drüber geht (Flüsse aus fließendem Gestein? Fabelwesen im Reich des Priesterkönigs? Alles ziemlich magisch, würde ich sagen.) Der Trick ist – und das fällt beim Thema Mittelalter nicht schwer – sich auf angebliche Überlieferungen zu beziehen, auf Berichte über Dinge, die für die Menschen damals vollkommen real waren (auch wenn das Ganze sich aus unserer heutigen Sicht anders darstellt). Über Drachen wurde damals ernsthaft diskutiert, man findet sie in tausend mittelalterlichen Darstellungen. Entsprechend werden die meisten modernen Leser nicht allzu böse sein, wenn ein drachenähnliches Wesen in einem „historischen“ Roman auftaucht. Dagegen ein Raumschiff? Gott bewahre! Auch wenn beide vermutlich gleichermaßen unrealistisch sind. „Im Rahmen bleiben“ ist so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz, dann lassen einem auch eher realistisch orientierte Leser so manches durchgehen. (Und, nein, in MAGNUS wird es keinen Drachen geben – zur Enttäuschung der Drachenfreunde, zweifellos. Und erst recht keine Raumschiffe.)

Wie gesagt, es ist viel Sekundärliteratur zum Thema Magie in jener Zeit geschrieben worden. Mein Lieblingsbuch ist Richard Kieckhefers sinnvollerweise „Magie im Mittelalter“ betitelte Abhandlung, die sich weniger mit Einzelpersonen, als vielmehr mit Traditionen beschäftigt. Ich habe das Buch schon für DER RATTENZAUBER verwendet und stelle gerade mal wieder fest, wie gut es ist. Ebenfalls solide, aber für meinen Geschmack ein wenig zu personenspezifisch ist „Magie und Magier im Mittelalter“ von Christa Habiger-Tuczay. Es steht noch einiges mehr zu diesem Thema bei mir im Regal, aber im Grunde ist da wenig, das in den wichtigen Punkten über Kieckhefers Buch hinausgeht. Allein sein Kapitel „Was ist Magie?“ ist interessanter, als viele andere Anhandlungen in ihrer Gesamtheit.

19. Februar 2003
Gestern kam mit der Post das „Lexikon des Mittelalters“. Neun Bände, jeder mit rund 2000 klein bedruckten Seiten. Keine Ahnung, wie viele Einträge es darin gibt. Jedenfalls dürfte es sich dabei um die ausführlichste Betrachtung des Mittelalters überhaupt handeln. (Zum Nachkauf allerdings nur mit Einschränkung empfohlen: Meine Taschenbuchausgabe hat 250 Euro gekostet, die Hardcoverausgabe 3000! Genau, mit drei Nullen …). Jedenfalls bin ich immer noch völlig begeistert von der Fülle an Informationen. Jeder, absolut jeder Begriff wird ausgiebig erklärt, nicht nur Geschichtliches, auch Dinge des Alltags. Bislang habe ich noch nicht einen einzigen Begriff NICHT gefunden. Sehr schön und definitiv zum Festlesen (wenn man sich auf den lexikalischen Stil einlässt).

Danach noch weiter im Lexikon gestöbert, die definitive Reiseroute der Helden festgelegt und jede Menge weitere Bücher über die diversen Landstriche bestellt. Historische Romane zu schreiben ist teuer, hab ich das schon mal erwähnt?

20. Februar 2003
Für gewöhnlich gibt es während der Recherche zu einem neuen Roman bei mir irgendwann einen Punkt, an dem plötzlich alles zusammenpasst. Im Idealfall kommt er in der ersten oder (eher) zweiten Woche der Vorbereitungen. Das ist der Moment, in dem das Lesen manchmal doch recht staubiger Sekundärtexte ganz abrupt ungeheuer spannend wird.
Bei MAGNUS kam dieser Punkt gestern Abend, nachdem ich den gestrigen Eintrag im Journal schon geschrieben hatte. Plötzlich entdeckte ich eine Übereinstimmung in der fiktiven Handlung und den historischen Begebenheiten, die ein völlig neues und (behaupte ich mal ganz unbeschieden) ziemlich großartiges Element hinzufügt und das Ganze von einer vagen Sammlung von Ideen in die Liga eines echten Plots katapultiert. Es ist schwierig, einem Nicht-Autor diesen Augenblick zu beschreiben. Am ehesten ist es vielleicht vergleichbar mit einem Programmierer, der monatelang an irgendwelchen Programmbestandteile bastelt und dann auf einmal, wenn er sie zusammensetzt, bemerkt, dass alles tatsächlich funktioniert. Oder ein Regisseur, der zum ersten Mal alle seine Einzeleinstellungen zu einem kompletten Film zusammenfügt. Von einem Moment zum nächsten ist alles anders. Dinge, die vorher nichts miteinander zu tun hatten, ergeben unverhofft einen gemeinsamen Sinn. Einzelne Kulissen werden zu einem breiten Panorama. Auf den Punkt gebracht: Die Geschichte beginnt zu leben!

MAGNUS also lebt jetzt. Er mag noch ein wenig wacklig auf den Beinen sein – aber er atmet. Und, das Wichtigste, er kann den Mund nicht mehr halten! Denn genau ab diesem Punkt werde ich die Geschichte nicht mehr los. Ich denke morgens beim Zähneputzen daran, abends im Restaurant oder mitten in der Nacht, wenn ich stundenlang im Kopf irgendwelche Plotpunkte hin und her drehe.

Die zweite Erzählebene, nach der ich im Grunde seit November gesucht habe, steht jetzt vollkommen klar vor mir. Eine neue Figur ist geboren, die ungeheuer wichtig für das Ganze ist – um so erstaunlicher, dass sie bis gestern noch gar nicht existiert hat! Und die Antagonisten sind nicht mehr länger eine vage Bedrohung, sondern Menschen mit Gesichtern, Namen und persönlichen Motiven.

Heute habe ich stundenlang Texte zu einem Thema gelesen, das ich bislang immer recht unspektakulär fand. Und nun sehe ich ganz neue Aspekte darin, neue faszinierende Elemente. Am liebsten würde ich tatsächlich alles auszuplaudern – aber ich kann mich mit Mühe beherrschen. (Nicht nur der Geheimhaltung wegen, sondern auch weil ich früher manchmal den Fehler gemacht habe, meinen Lektorinnen solche Ideen brühwarm zu erzählen – und sie, weil sie die ganze Geschichte noch nicht kannten, überhaupt nicht nachvollziehen konnten, weshalb ich eigentlich wegen solch einer Kleinigkeit so aus dem Häuschen war. Aber manchmal sind es gerade die kleinen Dinge, die eine Geschichte von heute auf morgen völlig auf den Kopf stellen und zu etwas ganz Eigenem machen.)

Es mag ja ein wenig albern klingen, aber MAGNUS lässt mir jetzt keine Ruhe mehr. Mit einem Mal entdecke ich in allem und jedem Dinge, die zu der Geschichte passen. Wie Puzzlestücke, die unvermutet vom Himmel regnen und genau in die richtigen Positionen fallen – und das Puzzle sogar noch in alle Richtungen erweitern.
Das ist der Moment, den ich bei der Arbeit an einem Buch immer am meisten genieße – mehr noch sogar als jenen Augenblick, wenn ich das fertige Buch in den Händen halte. Ab sofort folgt mir die Geschichte überall hin, vierundzwanzig Stunden am Tag – ein Zustand, der in der Regel anhält, bis das komplette Konzept steht. Wenn ich erst einmal mit dem eigentlichen Schreiben beginne, kann ich für den Rest des Tages wieder abschalten – aber bis dahin, also in den nächsten Wochen, wohl erst einmal nicht mehr.

21. Februar 2003
Ich hatte versprochen zu erklären, was es mit den so genannten Fahnen (oder Druckfahnen) eines Buches auf sich hat. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um einen großen Stapel Din-A-4-Seiten, auf die im Querformat die fertigen Doppelseiten des Romans kopiert wurden – das heißt, der fertig gesetzte Text, in den im Idealfall schon sämtliche Verbesserungen des Lektorats und der Korrektoren eingearbeitet wurden. Diesen unhandlichen Haufen Doppelseiten bekommt zuletzt der Autor, um ihn noch einmal sorgfältig zu überprüfen. Nun gibt es Schriftsteller, die sich weigern, Fahnen zu korrigieren. Oder gegenüber dem Lektorat nur so tun, als ob sie sie tatsächlich gelesen hätten. Oder auch solche, die Dritte damit beauftragen, für sie die Fahnen zu korrigieren. In der Tat gibt es wohl für die meisten Autoren nichts Lästigeres, als den eigenen Text noch einmal ganz genau, und das heißt: Wort für Wort, zu lesen. Von vorne bis hinten. Ohne Absätze zu überspringen. Oder auch nur Zeilen. Lässt man sich doch mal dazu hinreißen, kann man sich darauf verlassen, dass ausgerechnet in diesen Sätzen die übelsten Fehler, Wortdreher oder stilistischen Verunstaltungen lauern, die entweder den vorhergegangenen Kontrollinstanzen durch die Lappen gegangen sind oder aber von ihnen erst eingefügt wurden (was ganz selten der Fall ist – meist passieren Fehler, die nicht bereits im Manuskript steckten, dadurch, dass beim Einfügen der Änderungen des Lektorats oder der Korrektoren etwas schiefgelaufen ist; soll zum Beispiel aus „dem Mann“ „des Mannes“ gemacht werden, geschieht es ab und an, dass zwar der Artikel in den Genitiv gesetzt wird, nicht aber das Substantiv, oder umgekehrt. So kommen die meisten Druckfehler zustande, und nicht etwa, weil irgendeiner der Beteiligten nicht gewusst hätte, wie es richtig heißen müsste.)
Damit nun der Autor überprüfen kann, ob es im Text irgendwelche nicht abgesprochenen Änderungen gibt (oder sonst etwas, das ihm nicht passt), bekommt er die Fahnen – mit der dringenden Bitte, doch ja nicht zu viel zu ändern. Denn alles, was in diesem Stadium noch am Text gemacht werden muss, kostet den Verlag Zeit und Geld. Letztlich hat mich das – trotz schlechten Gewissens – nie davon abgehalten, jede Änderung zu machen, die mir nötig erschien; im Durchschnitt etwa drei pro Seite, schätze ich. Verlage sehen das nicht gern, und manche Lektoren stöhnen vernehmlich – weil auch auf sie nun noch ein Haufen Arbeit zukommt. Die Korrekturen des Autors müssen nämlich, nachdem sie in der Herstellungsabteilung eingefügt wurden, erneut vom Lektorat auf ihre Vollständigkeit überprüft werden.
(Irgendwann werde ich mich mal ausführlicher dazu äußern, daher hier nur so viel: Wer die Aufgaben von Lektoren gering schätzt, hat keine Ahnung, wie viel Arbeit ein einzelnes Buch für sie bedeutet. Überstunden? Arbeit am Wochenende? Nörgelnde Autoren am Telefon? Alles Teil des Jobs. Und noch tausend kleine – und große – Dinge mehr.)

Wie schon erwähnt, Fahnenlesen ist eine Tortur. Jedenfalls meistens. Durch den zeitlichen Abstand von mehreren Monaten zum letzten Lesen des Manuskripts sieht man den Text oft mit anderen Augen – was gut oder schlecht sein kann. Manchmal erscheinen einem Szenen, die man vorher als durchschnittlich in Erinnerung hatte, nun auf einmal als ganz phantastisch – und andere, die man beim Schreiben richtig toll fand, als eher mittelprächtig. Und das ist, zumal in diesem Stadium des fast fertigen Buches, nicht immer ein angenehmes Gefühl. Obwohl freilich auch das täuschen kann. Ich erinnere mich z.B. gut an das Kapitel aus DIE FLIESSENDE KÖNIGIN, in dem Unke Merle ihre Lebensgeschichte erzählt. Beim Schreiben war ich ganz hin und weg davon und hab mir selbst kräftig auf die Schulter geklopft. Dann kamen die Fahnen und – aaarrrggghhh! Am liebsten hätte ich jeden zweiten Satz geändert. Plötzlich war alles ganz schrecklich, klang künstlich und aufgesetzt. Ich habe damals meine Lektorin Christiane Düring angerufen und ihr mein Leid geklagt. Sie hat mich erstmal beruhigt und mir versichert, die Szene sei vollkommen in Ordnung. Ich habe dann hier und da ein paar Wörter geändert, Kleinigkeiten, sonst nichts. Und war froh, als ich die Fahnen endlich vom Tisch hatte. Ein paar Monate später bekam ich das fertige Buch und begann, ein paar Szenen herauszusuchen, die ich bei Lesungen vortragen könnte. Dabei las ich erneut Unkes Geschichte – und war mit einem Mal wieder ganz hingerissen. War das derselbe Text? Dieselben Formulierungen? Kaum zu glauben, aber – ja, in der Tat. Heute ist dies eine meine Lieblingsszenen in der Trilogie, und es vergeht kaum eine Veranstaltung, bei der ich sie nicht vorlese.
Ähnliches passiert mir bei fast jedem Buch (besonders dramatisch war das damals auch bei GÖTTIN DER WÜSTE, ein Buch, mit dem ich in den Fahnen größte Probleme hatte – und heute zählt es, ohne irgendwelche Änderungen, zu meinen Favoriten unter meinen eigenen Romanen).
Fazit: Fahnenlesen ist ein bisschen wie der Besuch beim Zahnarzt. Dabei ist es ganz schrecklich, aber später ist man doch froh, dass man hingegangen ist. (Und, übrigens: Ich lese tatsächlich jedes Wort in den Fahnen selbst, oft drei- oder viermal. Es IST wohl oder übel eine der wichtigsten Stationen bei der Fertigstellung eines Buches, und ganz sicher keine, die ich irgendwem anders überlassen würde.)

24. Februar 2003
Weitere Reiseberichte gelesen, jedenfalls in Auszügen. Am Samstag kamen noch mal diverse Pakete mit neuen und gebrauchten Büchern, die ich während der vergangenen zwei Wochen bestellt hatte. (Gebraucht deshalb, weil erstaunlich viele Sachbücher nach kurzer Zeit vergriffen und nur noch antiquarisch zu bekommen sind.)

25. Februar 2003
Gestern wenig anderes getan, als den neuen PC einzurichten und noch mehr Fahnen zu korrigieren (okay, und „Gothic II“ zu installieren). Heute deshalb ein konzentrierter Crash-Kurs über Kopfjäger in Europa, die Nizari und … nun, einen Landstrich, über den ich vorerst noch nichts verrate.

26. Februar 2003
Irgendwann während der Vorbereitungen zu einem neuen Buch kommt bei mir der Moment des Recherche-Overloads. Das ist der Punkt, an dem ich so viele Sachbücher durchforstet (und meist noch einige vor mir) habe, dass die Gefahr droht, zu vergessen, dass ich ja eigentlich trotz aller Information eine GESCHICHTE erzählen will. Eine möglichst originelle. Mit besonderen Figuren.
Und das ist, mit schöner Regelmäßigkeit, der Punkt, an dem ich alle Sekundärliteratur für mindestens ein, zwei Tage beiseite lege und mich stattdessen über einen großen Stapel Comics oder Bücher hermache. Das Ganze dient, trocken betrachtet, dem Zweck, die eigene Fabulierlust wieder ein wenig anzustacheln, wieder in Stimmung für das eigentliche ERZÄHLEN zu kommen. Denn so, nun ja, interessant es sein mag, zu erfahren, wie schnell dieser oder jener Fluss fließt (und wie rasch sich ein Boot darauf von A nach B bewegt), oder welche Sitten und Gebräuche die Bewohner exotischer Gegenden haben, so sind es doch letztlich nicht diese Dinge, auf die es in einem Roman ankommt. Das ist alles nur die Farbe, mit der man den Plot bunt auspinselt.
Um also wieder den Bezug zur Geschichte zu bekommen, zu Charakteren, überraschenden Wendungen oder einfach nur verrückten Ideen, nehme ich mir andere erfundene Geschichten vor – meist welche, die ich bereits kenne und von denen ich weiß, dass sie mich wieder in die richtige Stimmung bringen.

(Andere recherchieren gerne, ich weiß. Ich auch, manchmal. Und doch droht die Gefahr, in dem Wust an Informationen zu versumpfen. Das ist einer der Gründe, warum ich selbst nahezu gar keine historischen Romane mehr lese – zu viele Autoren verbeißen sich zu sehr in den Fakten, wollen noch dieses und jenes Detail hineinquetschen und vergessen darüber oft genug den eigentlichen Motor der Geschichte: die Menschen, den Plot.)
27. Februar 2003
Heute ein paar interessante Dinge über mittelalterliche Buchkunst gelesen (in „Codices Illustres“ von Ingo F. Walther). Bin selbst gespannt, wie viel davon in MAGNUS auftaucht.

Das Internet, Quell unendlichen Info-Mülls. Dazu gleich mein eigener Beitrag: Ich habe in den vergangenen zehn Jahren rund 11.400 Manuskriptseiten geschrieben. Zusammengelegt ergibt das ein Papierband von circa 3400 Metern Länge. Es ist 23:07 Uhr. Gute Nacht.

28. Februar 2003
Ich dürfte jetzt an die 80 oder 90 Seiten Notizen für MAGNUS beisammen haben. Jedenfalls mehr, als bislang für jedes andere Buch. Aufgeschrieben sind sie in einem DIN-A-5-Notizbuch, gebunden in braunes Leder, das mir nach einer Lesung die Besitzerin der Buchhandlung Lesezeichen in Hillesheim geschenkt hat. Früher habe ich dafür oft dicke Schulhefte benutzt, aber so ist das Ganze natürlich ein wenig stilvoller.
Nächste Woche werde ich alle Notizen in den Computer eingeben und versuchen, sie in eine stimmige Reihenfolge zu bringen (und dabei erfahrungsgemäß gut ein Drittel bis die Hälfte aussortieren). Das Eintippen ist schrecklich, aber das eigentliche Plotten mit all diesen Ideen, Anmerkungen, Verweisen usw. macht mir meist den größten Spaß.

4. März 2003
Ich bin furchtbar vergesslich. Das merke ich oft, aber heute ganz besonders. Heute morgen habe ich damit begonnen, alle Notizen, die ich mir zu MAGNUS gemacht habe, in den Computer zu tippen. (In fünf Stunden habe ich nicht mal die Hälfte geschafft, also geht´s morgen – und vermutlich übermorgen – damit weiter.) Die ältesten Stichworte sind ungefähr ein Jahr alt. Und an die meisten dieser frühen Sachen konnte ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Einige der schönsten Ideen waren mir komplett entfallen. Um so erfreulicher, jetzt wieder darauf zu stoßen und damit allmählich zu der Überzeugung zu kommen, dass MAGNUS ein richtig gutes Buch werden könnte.

Möchte jemand wissen, wie solche Notizen konkret aussehen? Man denke sich die folgenden Satzbruchstücke in krakeliger Handschrift:
„Ödnis. Desolate, einsame Landschaft. Urschlamm!“
„Drei Würfel, ein Kamm (obwohl F. kurze Haare hat)“
„Flussaufwärts mit Pferden: 15 – 20 km am Tag. Reisen 56“
„Über eingeschlafene Mönche -> Leben 106 (evtl. in Disk. Held/Freund)“
Und so weiter, und so weiter. Klingt unspannend, ich weiß. Die Zahlen bezeichnen in der Regel Seiten in der Sekundärliteratur. Und „Held“ bedeutet, dass der Protagonist zum Zeitpunkt jener Notiz noch keinen Namen hatte. (Jetzt hat er einen, obwohl ich noch mit der Schreibweise experimentiere.)

5. März 2003
Bin tatsächlich heute mit der Computer-Erfassung der Notizen und Stichworte der letzten Monate fertig geworden. In Word (Arial, 12 Punkt, einzeilig; aber mit je zwei Leerzeilen zwischen einzelnen Punkten) sind es über zwanzig Seiten geworden. Wenn man bedenkt, dass jeder einzelne Punkt im Durchschnitt nicht mehr als zwei Zeilen hat, sind das eine Menge Einzelelemente. Ich glaube, umfangreiche Bücher wie DIE ALCHIMISTIN oder DAS ZWEITE GESICHT kamen in dieser Phase selten auf über 15 Seiten.
Danach habe ich gleich begonnen, die ersten zwanzig, dreißig Punkte in die Chronologie des Plots zu sortieren (in einer zweiten Word-Datei, wobei ich beim Sortieren – über Ausschneiden/Einfügen – permanent zwischen beiden umher springe). In den nächsten zwei, drei Tagen wird aus diesem Sammelsurium nun hoffentlich so etwas wie das ganz, ganz grobe Gerüst einer Geschichte, einschließlich Dutzender Verweise auf Ereignisse, Figuren und auch schon viele Inhalte einzelner Dialoge. Manches davon wird später wieder gestrichen oder gar nicht erst in das eigentliche Exposé übertragen; anderes wird sich beinahe exakt so im Roman wieder finden.

Das alles mag recht unromantisch und technisch klingen – ist es aber überhaupt nicht. Für mich ist dies die kreativste und angenehmste Phase der ganzen Entstehung eines Buches. Man kann es vergleichen mit einem Maler, der vor der eigentlichen Arbeit seine Farben mischt und mit Bleistift eine erste Skizze auf die Leinwand zeichnet, an manchen Stellen sehr vage, an anderen hochdetailliert. Genauso fühle ich mich gerade: Pinsel und Tuben liegen bereit, aber die Leinwand ist noch einladend leer und kann – so scheint es jedenfalls noch im Augenblick – alle Ideen aufnehmen, die mir noch kommen mögen.

6. März 2003
MAGNUS entwickelt sich. Ungefähr die Hälfte der einzelnen Elemente, die ich bislang beisammen habe, ergibt allmählich eine runde Geschichte. Wie viele der übrigen Ideen in das Buch einfließen werden, weiß ich noch nicht genau. Einiges werde ich wohl unterbringen, anderes bleibt mit Sicherheit auf der Strecke.
Was aber geschieht mit Elementen, die einfach nicht in ein bestimmtes Buch passen wollen? Anzunehmen wäre, dass sie in irgendeiner Datei/Kiste/Mappe schlummern und irgendwann in einem späteren Buch auftauchen werden. Tatsache ist aber, dass in meinem Fall die meisten für immer und ewig verschwinden. Das hat vor allem schnöde organisatorische Gründe: Ich lege alle Notizen unter den einzelnen Buchprojekten ab, wo sie dann meist auch bleiben und nie mehr hervorgeholt werden. Geschickter wäre es, sich dafür ein vernünftiges, übergreifendes System einfallen zu lassen, sortiert etwa nach Zeitaltern (bietet sich bei historischen Romanen an) oder, allgemeiner gefasst, Themen. Das ist aber nur teilweise praktikabel, eben weil sich viele Einfälle auf alle möglichen Geschichten und Zeiten anwenden lassen. Also sähe es am Ende doch wieder so aus, dass ich vor jedem neuen Buch sämtliche Notizen aller vorangegangenen Romane durchgehen müsste. Wozu mir schlichtweg die Geduld fehlt.
Und auch wenn ich jetzt gerade mal wieder den hehren Vorsatz fasse, mir diesmal ganz bestimmt doch irgendein unschlagbares Ablage-System einfallen zu lassen, fürchte ich, dass daraus einmal mehr nichts wird. Systematische, organisierte Menschen (und es soll Autoren geben, auf die diese Definition zutrifft) mögen damit keine Probleme haben. Ich schon. Dabei hält sich mein Sinn für Chaos – abgesehen von dem, sagen wir, geordneten Durcheinander in meinem Arbeitszimmer – einigermaßen in Grenzen. Behaupte ich. Aber ich hasse jegliche organisatorische Arbeit, angefangen bei Vorarbeiten für die Steuererklärung bis hin zu – nun, eben dem Anlegen von Akten- und Dateiordnern. Den meisten von euch geht´s vermutlich nicht anders. Freut mich.

Allerdings – nicht alle Ideen gehen verloren, vermutlich weil die besten gut genug sind, um mir auch ohne schriftliche Fixierung im Gedächtnis zu bleiben. So geschehen mit der Liebesgeschichte Clemens Brentano / Anna Katharina Emmerick. Das Ganze war ursprünglich mal als Teil von DIE GEISTERSEHER gedacht, wo es aber beim besten Willen nicht hineinpasste (chronologisch wie auch inhaltlich). Trotzdem wurde später DAS GELÜBDE daraus, einfach weil mich die kurze Notiz, die ich zu dieser Episode einmal in einer Literaturgeschichte gefunden hatte, nicht mehr losließ. Was womöglich bedeutet, dass ich doch nicht ganz so vergesslich bin, wie ich vorgestern behauptet habe.

7. März 2003
Der Plot steht! Mit allen Hauptfiguren, Handlungsorten, Erzählsträngen und – mehr oder minder – den Beziehungen der Charaktere untereinander.
Was ich jetzt vor mir habe, ist eine Art Rohform des Exposés (das wiederum nur ein Gerüst des fertigen Romans sein wird). Konkret sieht das so aus, dass nun sämtliche Elemente der Geschichte – noch immer in Stichwortform – in chronologischer und inhaltlicher Reihenfolge angeordnet sind. Das Ganze umfasst zwölf Seiten – erstaunlich genug, wenn man bedenkt, dass aus diesem Sammelsurium von Ideenfragmenten ein Roman von 500 oder 600 Seiten werden wird. (Nagelt mich später nicht auf die Länge fest; das hier ist eine grobe Schätzung und somit nach oben und unten offen.)
Nächste Woche werde ich diese zwölf Seiten zu einem lesbaren Exposé ausarbeiten. Genau genommen sogar zu zweien – eines für mich, einschließlich aller Seitenverweise in der Sekundärliteratur und diverser Details, und ein zweites in etwas abgespeckter Form für meine Lektorin im Verlag. Außerdem werde ich versuchen, für alle Hauptfiguren Charakterblätter anzulegen. Das habe ich bislang nur in den allerseltensten Fällen gemacht; in der Regel kenne ich die Figuren auch so gut genug. Wenn ich mich recht erinnere, waren die einzigen Bücher, bei denen ich etwas Vergleichbares probiert habe, DIE ALCHIMISTIN und, notgedrungen, DIE UNSTERBLICHE. „Notgedrungen“, weil es eine recht komplexe Angelegenheit war, die komplizierten Familienverhältnisse der Institoris´ nach mehreren Jahren wieder auf die Reihe zu bekommen.
MAGNUS hat ebenfalls eine ganze Reihe von Charakteren, allein drei Protagonisten – zwei weibliche, eine männliche -, dazu mehr als ein halbes Dutzend durchlaufender Nebenfiguren. Da sich die Beziehungen der Personen untereinander alle unterscheiden sollten, kann es nicht schaden, das alles vorab in ein paar Sätzen zu skizzieren – auch wenn sich solche Dinge beim Schreiben erfahrungsgemäß noch mal verschieben.

10. März 2003
Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel Zeit und Arbeit es kostet, aus einer Sammlung von chronologisch geordneten Stichworten ein zusammenhängendes Exposé zu machen. Das liegt unter anderem daran, dass die Geschichte in meinem Kopf längst steht, die meisten Figuren Gesichter oder wenigstens eine vage Erscheinung haben, die Schauplätze umrissen und die eigentliche Geschichte Punkt für Punkt existiert – nun aber wieder auf ein Minimum reduziert werden soll. Aus so einem „Roman im Kopf“ einen echten Roman zu machen, ist mühsam – das kann sich jeder denken. Ihn zuvor aber auf 30 bis 40 Seiten zusammenzufassen, ist beinahe noch schwieriger. Zumal alle Geschichten die unangenehme Angewohnheit haben, sich beim Niederschreiben zu verändern.

Wie auch immer, jedenfalls habe ich heute damit begonnen, das eigentliche Exposé zu schreiben – d.h. einen umfangreichen Abriss der Handlung, Szene für Szene, ähnlich einem Drehbuch ohne Dialoge. (Und es stehen trotzdem bereits einige Dialoge darin, meist Provisorien, nichts Ausformuliertes, aber nichts desto trotz eben Dialoge.) In acht Stunden habe ich etwa ein Viertel geschafft, was hoffentlich bedeutet, dass ich Ende dieser, spätestens Anfang nächster Woche ein komplettes Exposé vor mir haben werde. Leicht wäre es, wenn dieser Text nur meine Arbeitsgrundlage in den kommenden Monaten wäre (dann müsste ich Sätze nicht ausformulieren, nicht auf Stilistisches achten usw.). Da das Ganze aber auch an meine Lektorin im Lübbe Verlag geht, sollte es einigermaßen Sinn machen und ihr eine recht gute Vorstellung des fertigen Romans vermitteln. (Übrigens ist es gar nicht so einfach, ein Exposé so zu lesen, dass einem anschließend ein runde Geschichte vor Augen schwebt: Letztenendes konsumieren wir auch das geschriebene Wort als eine Art visuelle Stimulation, und dazu bedarf es in der Regel Beschreibungen, die ein Exposé nur selten leisten kann. Der Leser einer solchen Kurzfassung muss also den Willen und auch das Talent mitbringen, Lücken zu füllen und selbst aus Kleinigkeiten eine Art imaginäres Panorama zu erschaffen, damit die Geschichte mehr ist als eine Aufzählung von Personen, Orten und Handlungen. Das ist nicht einfach. Ich habe Lektoren kennen gelernt – vor allem aber Fernseh-Redakteure -, die ein Exposé lasen und danach noch immer keinen Schimmer von der Geschichte hatten. Ganz abgesehen davon: Ich selbst hasse es, die Exposés oder Filmtreatments (eine ganz ähnliche Textform) anderer Autoren zu lesen, und zwar aus denselben Gründen. Es IST anstrengend, ein Exposé zu lesen, und es erfordert eine hohe Konzentration.)

Es gibt viele Autoren, die ohne Exposés arbeiten. Sie schreiben einen kurzen Abriss für den Verlag, mehr nicht. Da ich für mich persönlich aber ein Gerüst benötige, an dem ich mich Tag für Tag entlang hangle (dazu später einmal mehr), kann ich das Ganze auch gleich in einer präsentierbaren Form anlegen. Das bewahrt den Verlag vor Überraschungen und macht auch dort für alle Beteiligten die Arbeit einfacher.

11. März 2003
Die Arbeit am Exposé geht gut voran. Dürfte etwa die Hälfte geschafft haben.
Ich habe anfangs geschrieben, MAGNUS sei unter anderem auch der Roman einer Reise. Was nach wie vor stimmt. Allerdings stelle ich beim Schreiben des Exposés fest, dass die Reise an sich deutlich kürzer geworden ist bzw. in größeren Sprüngen stattfindet. Im Stadium der Exposéarbeit bekomme ich üblicherweise erstmals ein Gefühl für das Timing der Geschichte. Wo dauert etwas zu lange, wo passiert etwas zu schnell? Meist trifft der erste Fall zu, und das ist der Punkt, an dem der gedachte Rotstift ansetzt. Reiseerzählungen haben die fatale Tendenz zur Episode, was mich bei ähnlichen Geschichten oft stört. (Bin ich wirklich der Einzige, der Tom Bombadil NICHT für einen literarische Geniestreich hält? Ein Hoch auf Peter Jackson für die Einsicht, ihn ersatzlos aus der Verfilmung des „Herrn der Ringe“ zu streichen!) Im Exposé also werden überflüssige Episoden meist rasch als solche erkennbar. Gibt es einen guten, plot-übergreifenden Grund für diese Begegnung, jene Konfrontation? Falls nicht, tut man gut daran, die betreffende Szene so früh wie möglich zu kippen. Am besten im Exposé, weil sie da noch keine Arbeit gemacht hat.
Das also ist es, was ich gerade tue (neben dem eigentlichen Ausformulieren der Geschichte, versteht sich): Gute, solide Ideen auf Nimmerwiedersehen aus dem Roman zu schmeißen, bevor sie zum Teetrinken bei Tom Bombadil oder Herumgefuchtel auf den Hügelgräberhöhen werden.

12. März 2003
Jeder Plot – und damit jedes Exposé – hat Ecken und Kanten, die einen zur Verzweiflung treiben können. Heute kam solch ein Punkt, eine Passage, die ein wenig zu sehr nach dem schmeckt, was ich gestern „Episode“ genannt habe. Das Problem dabei ist, dass ich diese Szenen aus verschiedenen Gründen unbedingt brauche – unter anderem um die Hauptfiguren auf das nächste Level ihrer Entwicklung zu heben. (Ein Beispiel für einen solchen Entwicklungsschritt wäre in der Merle-Trilogie etwa Serafins erster Auftritt: Der Kampf der Lehrlinge in der Zauberspiegelwerkstatt ist im Grunde eine Episode, die für die Geschichte an sich nicht viel bringt, dafür aber ganz klar die Eckpunkte der Beziehungen zwischen Merle, Serafin, Dario und Junipa setzt.)
Die Passage, die ich heute konzipiert habe, ist ungleich länger und auch ein ganzes Stück episodischer. So, wie sie jetzt im Exposé steht, wird sie auf keinen Fall bleiben, das steht fest. Andererseits habe ich für mich persönlich die Erfahrung gemacht, dass es wenig Sinn hat, stundenlang über solch eine Sache nachzugrübeln. In der Regel – und so auch heute – schreibe ich die Szene dann so, wie es mir zu diesem Zeitpunkt eben möglich ist. Nicht perfekt und sicher nicht so, wie ich sie am Ende haben will. Trotzdem mache ich einfach weiter, nehme mir die nächsten Szenen vor, um dann am Ende der Exposéarbeit noch mal zu der Problemstelle zurückzuspringen. Oder, wenn sie sich auch dann nicht lösen lässt, darauf zu vertrauen, dass sich das Ganze beim eigentlichen Schreiben des Romans von selbst klärt. Das klappt oft, aber leider nicht immer. Manchmal gehe ich dann beim Schreiben noch mal zurück in ein kurzes Konzeptionsstadium, d.h. ich erarbeite für die entsprechende Passage ein neues Teil-Exposé. Meist finde ich dann einen passablen Ausweg, manchmal gar, indem ich die entsprechende Stelle komplett aus der Geschichte werfe. Aber habe ich nicht eben noch gesagt, das sei unmöglich? Im Exposé sieht es so aus – doch im Roman haben sich die Figuren manchmal schon von selbst weiterentwickelt, so dass Punkte, die im Konzept lebenswichtig erschienen, mit einem Mal hinfällig sind.
Ein weiteres Beispiel für eine solche Stelle gibt es in DIE ALCHIMISTIN. Als Aura mit Gillian nach Wien zurückkehrt, um Lysander in den Katakomben der Hofburg zu stellen, habe ich mir – na ja, bildlich gesprochen – beim Exposé die Haare gerauft. Aus irgendeinem Grund erschien es mir wichtig, zu erklären, wie die Beiden in Wien an Geld kommen, um sich eine entsprechende Ausrüstung zu leisten. Im Exposé gab es dazu eine längere Szene, mit der ich mich nie ganz wohl gefühlt habe. Als ich dann bei der Arbeit am Roman an diese Stelle kam, erwies sie sich als vollkommen unnötig: Gillian wandte sich – sozusagen im Off – an alte Bekannte in der Stadt, und Auras Stiefbrüder waren mittlerweile ebenfalls in Wien und hatten Geld mitgebracht.
Was letztlich auf die alte Erkenntnis hinausläuft, dass sich jede Geschichte kürzen lässt und es ihr meist zugute kommt – auch wenn es dem Autor manchmal schwer fällt.

13. März 2003
Die Rohfassung des Exposés ist fertig. Das Problem von gestern hat sich wie von selbst gelöst: Gestern Abend fiel mir eine Möglichkeit ein, die schwierige Passage enger mit dem Rest der Geschichte zu verknüpfen und dabei sogar noch ein paar ursprünglich geplante Elemente einzubauen, die ich eigentlich aus Platzmangel schon gestrichen hatte.
Jetzt also läuft die Geschichte rund, auch wenn manche Stellen viel detaillierter ausgearbeitet sind als andere. Vor allem das erste Drittel ist schon ziemlich wasserdicht, im hinteren Teil wird es dann ein wenig lockerer. Aber auch das kenne ich von nahezu allen früheren Exposés. Diesmal habe ich immerhin schon einen kompletten Schluss und weiß, was aus allen Charakteren am Ende wird – jedenfalls aus denen, die es bis dorthin schaffen. Dass sich vieles davon noch ändern mag, ist unwichtig. Ich habe jetzt das Skelett des Romans, alle Figuren und sogar, wenn auch nur angerissen, die Beziehung aller Protagonisten und wichtigen Nebenfiguren zueinander.
Morgen werde ich das Ganze überarbeiten und wohl Anfang nächster Woche an meine Lektorin und meinen Agenten mailen.

Ich habe versprochen, Auszüge aus älteren Exposés zu bringen, um zu zeigen, wie so etwas aussehen kann.
Hier ist der Anfang von DIE ALCHIMISTIN:

„Norddeutschland im Jahre 1897, im abgelegenen Landschloss der Familie Institoris. „Vater hasst dich! Vater hasst uns alle!“, ruft die kleine Sylvette Institoris (10), als eine Kutsche den Waisenjungen Christopher (17) vor dem Schloss absetzt. Christopher wurde von Sylvettes Mutter, Charlotte Institoris (40), adoptiert; sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Waisenjungen aus den Kinderheimen der Großstädte in ihre Familie aufzunehmen. (…)
Charlotte und Sylvette sind die einzigen, die zu Christophers Begrüßung erscheinen. Dem Jungen fällt auf, dass es im ganzen Haus, keine durchsichtigen Fenster zu geben scheint; alle sind aus buntem Bleiglas mit Motiven aus Mythologie und Märchen.
Die Kutsche ist gerade abgefahren, da erscheint Aura Institoris (17) im Foyer des Schlosses. Sie ist Charlottes zweite Tochter. Sie zeigt keinerlei Interesse an ihrem neuen Stiefbruder, im Gegenteil. Sie erkundigt sich bei ihrer Mutter nach Daniel (18), dem zweiten Stiefkind der Institoris. Niemand weiß, wo er ist.“

Und so weiter. Klingt in Exposéform wie eine „Dallas“-Folge. Liest sich aber im Roman ganz anders. Das ist es, was ich vor ein paar Tagen meinte, als ich schrieb, es sei nicht leicht, ein Exposé zu lesen – es gehört immer eine Menge Phantasie und wohl auch, im Idealfall, Erfahrung dazu, um aus einer solchen Kurzfassung die Qualität eines Romans abzulesen.

Das Exposé zur ALCHIMISTIN war recht flüssig geschrieben, weil es mein erstes für den Heyne-Verlag war und die Lektorin mich noch nicht kannte.
Anders sieht das manchmal aus, wenn ich mit einem Lektorat lange zusammenarbeite. Nach ein paar gemeinsamen Büchern werden meine Exposé meist ein wenig grober und zielen nicht mehr ganz so sehr auf einfache Lesbarkeit ab.

Hier noch ein Auszug aus DER ZWERGENKRIEG (zu finden im Sammelband NIBELUNGENGOLD). Dieses Exposé habe ich nur für mich selbst, nicht für den Lektor geschrieben.

„Expedition kehrt aus dem Norden zurück. Alle begeistert. Endlich können die Zwerge dem Joch der Nibelungen entkommen! Sie diskutieren: Hohler Berg sei mehr als eine Schatzkammer, er ist Teil des uralten Zwergenreiches, ein Teil „von uns“.
Abmarsch. Grimma lässt ihren kleinen Sohn bei Amme zurück, verlässt dann mit ihrem Volk den Hohlen Berg über die unterirdische Zwergenstraße. Hort wird über dem Eingang zum Einsturz gebracht.“

Das Ganze ist Teil des Prologs, obwohl ich nicht sicher bin, ob das alles tatsächlich auch in der endgültigen Romanfassung erwähnt wird. Ich weiß noch, dass ich an diesem – wie überhaupt an allen vier Niblungenromanen – eine Menge Spaß hatte. Aber um was es da tatsächlich ging? Ich werde alt.

14. März 2003
Ich habe das Exposé heute zum ersten Mal komplett am Stück durchgelesen und bin erwartungsgemäß auf diverse Kleinigkeiten gestoßen, die ich noch korrigieren muss. Aber es bleibt dabei: Nächste Woche geht das Ding endgültig raus zum Verlag und meiner Agentur.

17. März 2003
Wie geplant habe ich das fertige MAGNUS-Exposé heute an meine Lektorin, den Verlagsleiter und meinen Agenten Michael Meller gemailt. Ich denke, die ersten Reaktionen gibt es frühestens in anderthalb, zwei Wochen.
Ich selbst habe es heute noch einmal am Stück durchgelesen und bin sehr zufrieden. Abgesehen von der Tatsache, dass es arg umfangreich ist und – bei allem Spaß am Schreiben – eine Menge Arbeit bedeutet. Aber auch das gehört dazu.

18. März 2003
„Charaktere entwerfen“ ist eigentlich eine falsche Formulierung. „Charaktere treffen“ ist passender für das, was ich heute getan habe. Die fünf Hauptfiguren von MAGNUS haben sich heute zum Tee angekündigt, und ich war erstaunt, wie viel interessanter sie waren, da sie mir nun endlich gegenüber saßen, statt einfach nur auf dem Papier in einem Exposé zu existieren.
Wirres Zeug? Nun ja … Was ich bei früheren Büchern in der Regel vermieden habe, habe ich heute einfach mal ausprobiert: Zu jeder Hauptfigur alles aufzuschreiben, was mir einfällt. Dabei ging es vor allem um die Beziehung der Figuren untereinander, weniger um Äußerlichkeiten (die nur ein paar Zeilen einnehmen). Zum guten Schluss hatte ich zu jedem der Fünf rund vier eng beschriebene Seiten. Und ich bin selbst erstaunt, was für ein tolles Gefühl es ist, die Charaktere in einem so frühen Stadium schon plastisch vor mir zu sehen. Daher das Bild vom Teekränzchen – im Augenblick habe ich tatsächlich das Gefühl, ich wäre jedem der Fünf heute begegnet und hätte ein ausführliches Gespräch mit ihm geführt. (Die Anderen haben nicht zugehört, denn es wurde allerlei über das gesagt, was der eine vom anderen hält, und das war nicht immer sehr rücksichtsvoll.)
Jedenfalls habe ich jetzt das Gefühl, alle Fünf wirklich gut zu kennen. Bisher stellte sich das meist – und nicht immer – erst beim Schreiben des Romans ein. Trotzdem geht doch nichts über eine sorgfältige Vorbereitung.
Aber werde ich all den Papierkram, den ich heute fabriziert habe, tatsächlich brauchen? Ich denke schon. Nicht jeden Tag, nicht in jedem Kapitel. Und zum Ende hin vermutlich immer sporadischer. Aber es tut gut, zu wissen, mit wem ich die nächsten Monate verbringen werde. Im Augenblick erscheint mir das wie der Unterschied zwischen einer Pauschalreise (Wer sitzt mit am Tisch? Kann der nicht essen ohne zu schmatzen?) und einem Rucksacktrip mit guten Freunden – bei letzterem weiß man zumindest vorher, wer die ganze Zeit jammern wird, wer den Reiseführer trägt und fleißig daraus vorliest, und wer besser zuhause geblieben wäre.

19. März 2003
Stichwort Höhenflüge: Morgen ist die Verleihung des Deutschen Bücherpreises, und nun muss ich zugeben, dass mich das Ganze doch zu beschäftigen beginnt. Bislang hatte ich diese Sache nahezu vollständig vor mir hergeschoben. Aber spätestens, als ich heute den Anzug aus dem Schrank gekramt und auf die Schnelle eine neue Krawatte gekauft habe, dachte ich: Nun wird es also doch ernst.
Der Verlag rückt gleich mit acht Personen an. Und ich muss zwei Stunden vorher in die Maske!
Alle peinlichen Details am Samstag an gewohnter Stelle…

22. März 2003
„Nominiert für den Deutschen Bücherpreis“ oder „Auf der Auswahlliste für den Deutschen Bücherpreis“? Was klingt besser? Irgendwer wird sich darüber Gedanken machen müssen.


„Guten Tag, mein Name ist XY, ich bin heute Abend Ihr Chauffeur. Da draußen steht Ihr Wagen, die schwarze S-Klasse.“ (Woraufhin Steffi und ich zielstrebig und sehr überzeugt auf einen schwarzen BMW zuliefen.)

Die „Maske“, wie wir TV-Größen das nennen, ist viel angenehmer als befürchtet. Hat was von Gesichtsmassage. Jedenfalls wenn es schnell und ein wenig ruppig zugeht, weil vor einem schon ein Dutzend Andere dran waren und hinter einem Lilo Wanders wartet.

Vitali und Wladimir Klitschko haben breite Schultern. WIRKLICH breite Schultern. Aber sie sind nicht viel größer als ich. Auch wenn das anders aussah. Dafür passte mein Anzug besser. Ausgleichende Gerechtigkeit.
(Und zumindest einer der beiden – ich weiß nicht, welcher – ist sehr, sehr höflich: Er hat sich bei den beiden Damen rechts und links von mir – meine Frau Steffi und Jeanette Hammerschmidt vom Loewe-Verlag – entschuldigt, weil man ihn und seinen Bruder ausgerechnet vor uns platziert hat.)

Auch Lilo Wanders ist größer als die Klitschko-Brüder. Jedenfalls auf Hackenschuhen. (Die Wanders, nicht die Klitschkos.)

Jan Josef Liefers hat keine Haarbürste. Dafür singt er gern. Und nennt sich dabei „Jay Jay Liefers“. Was ein wenig wie G.G. Anderson klingt, den man nur kennt, wenn man in den frühen Achtzigern die ZDF-Hitparade verfolgt hat. Oder ein SEHR seltsames Oldie-Verständnis hat.

„Späteinsteiger“. So, so. Erstes Buch mit 22 geschrieben, ein Studium abgebrochen und dreieinhalb Jahre bei einer Zeitung gearbeitet. Seitdem nichts anderes getan als Romane zu schreiben (und Drehbücher und Comics). Aber Laudatoren werden nicht bezahlt, um zu recherchieren. Nur um zu loben. Und, wie´s scheint, um die ersten beiden Seiten jedes Romans zu lesen.

Der allgemeine Favorit in der Sparte „Kinder-/Jugendbuch“ war Klaus Kordon. Ich habe vorher gewettet, dass er gewinnt. Alle vom Verlag waren derselben Meinung. Mit Paul Maar hat jedenfalls kaum einer gerechnet. Offenbar auch nicht der Kameramann und die Regie, die während seiner Laudatio gnadenlos auf das Gesicht von Maars Sitznachbarn gehalten haben – sehr zu dessen Verwunderung, wie man bei genauem Hinsehen bemerken konnte.

Meine Kontaktlinsen machen seit Tagen Ärger. Linsen zu trocken, Sicht leicht verschwommen (jedenfalls abends). Dass Studioscheinwerfer dem nicht gerade zuträglich sind, kann ich jetzt bestätigen. Die Folge: Dauerndes Zwinkern. Was nach nervösen Zuckungen aussieht. Jedenfalls wenn man sich danach selbst kritisch im Fernsehen begutachten muss.

Zum Schluss sollte Angelika Milstner was Lustiges singen, entschied sich aber spontan – es ist Krieg! – für eine „Ballade“. Ich dachte, jetzt kommt „Let the Sunshine in“. Aber dann ging es doch nur irgendwie um eine Rose (jedenfalls nicht um Krieg, aber auch nicht um Frieden.) Und der MDR wurde kreativ und ließ auf der Leinwand im Bühnenhintergrund riesige Rosenblütenblätter rieseln.
(Soweit ich weiß, wurden dieser und die meisten anderen Musikbeiträge – inklusive Jay Jay – aus der 3sat-Übertragung rausgeschnitten. Keine Ahnung, ob sie in der MDR-Wiederholung zu sehen waren.)

Ein wenig ist das wie mit Familienfeiern: Vorher grämt man sich ganz fürchterlich, aber dann freut man sich doch über Kaffee und Käsekuchen. Und im nächsten Jahr ist man beleidigt, wenn man nicht mehr eingeladen wird.

24. März 2003
Ich habe in den vergangenen Wochen, während der Recherche zu MAGNUS, eine Menge über das alte Bagdad gelesen. Und während ich las, wie diese Stadt schon einmal zerstört wurde, spitzte sich im heutigen Bagdad die Situation mit rasanter Geschwindigkeit zu. Ich habe dies zuvor nicht erwähnt, weil ich nicht allzu viel über die Schauplätze von MAGNUS verraten wollte. Nun tue ich´s also doch: Bagdad ist schon einmal bis auf die Grundmauern niedergebrannt, seine Zivilbevölkerung ermordet worden. Ihr werdet in MAGNUS darüber lesen können. Aber es ist erschreckend und ein wenig bizarr, wie ich noch vor zwei, drei Wochen auf dem Papier plante, diese Stadt möglichst effektiv und mit den Waffen des Mittelalters zu zerstören – und jetzt live vor dem Fernseher dabei zusehen muss.

30. März 2003
Als ich im Februar begann, dieses Journal zu schreiben, war ich noch nicht sicher, ob mir tatsächlich genug einfallen würde, um täglich ein paar Absätze zu füllen. Okay, fast täglich. An Wochenende mache ich in der Regel einen weiten Bogen um den Computer. Und an manchen Wochentage haut es einfach zeitlich nicht hin – für gewöhnlich dann, wenn ich nicht zu Hause bin. Nächste Woche finden zwei Lesungen in Höxter statt, was vermutlich eine ein- bis zweitägige Lücke bedeutet. Genauso war es in den vergangenen Wochen mit Berlin und Leipzig.
Allerdings, und darauf will ich hinaus, ist mittlerweile etwas eingetreten, das ich so nicht erwartet habe: Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich nichts ins Journal schreibe. Sogar wenn ich gerade 500 Kilometer von meinem Schreibtisch entfernt bin. Was bedeutet, dass ich tatsächlich nur dann einen oder mehrere Tage auslasse, wenn es überhaupt nicht anders geht. Keine Faulheit. Keine Einfallslosigkeit. Nur äußere Zwänge.

31. März 2003
Die erste Meinung zum MAGNUS-Exposé kam letzte Woche von meinem Agenten Michael Meller. Wo denn die Liebesgeschichte sei, hat er gefragt. Schwarz auf weiß im Exposé, habe ich geantwortet. Woraufhin er etwas vor sich hin gemurmelt und das Thema gewechselt hat.
Allerdings ist sie in der Zusammenfassung tatsächlich noch ein wenig versteckt und wird im Roman zwangsläufig mehr Raum einnehmen. Abgesehen davon habe ich schon Bücher ohne Liebesgeschichten geschrieben. Bei MAGNUS bietet sich allerdings eine an. Keine ganz einfache, übrigens.
Meine Lektorin im Lübbe-Verlag ist ebenfalls fertig mit ihren Anmerkungen zum Exposé und wollte eigentlich heute mit mir darüber sprechen. Ich habe sie versetzt, um ein wenig mit der leidigen Korrektur voran zu kommen. Jetzt werden wird das Ganze wohl morgen durchsprechen.
Zuletzt stehen dann noch die Anmerkungen des Verlagsleiters aus, die er mir eigentlich am Wochenende mailen wollte. Werden wohl auch erst die Tage kommen.
Jedenfalls werde ich definitiv am kommenden Montag mit dem Schreiben des Romans beginnen.

Übrigens sind Rückmeldungen aus dem Verlag und der Agentur natürlich nicht bindend. Im Lektorat nennt man so was „Vorschläge“, und man könne „sie berücksichtigen oder auch nicht“. Aber meist sind solche Anmerkungen eine gute Sache, weil man bestimmte Aspekte plötzlich in einem neuen Licht – dem des Lesers – sieht. Punkte, die für den Autor selbstverständlich sind, werden hinterfragt – und meist ist es kein gutes Zeichen, wenn man dann keine Antwort weiß. Was mir wie jedem anderen auch schon oft genug passiert ist. Dann empfiehlt es sich in der Regel, bestimmte Elemente noch mal zu überdenken und aufeinander abzustimmen.

1. April 2003
Das Einarbeiten meiner Korrekturen (auf Papier) ins Manuskript (am Computer) ist nur unter lautstarker Musikbeschallung zu ertragen. Beim Schreiben kann ich im Großen und Ganzen nur instrumentale Musik hören, meist Soundtracks – beim Eingeben aber, das null gedankliche Leistung erfordert, höre ich dann meist die alten (und neuen) CDs durch, die ich zwar irgendwann gekauft habe, für die ich aber sonst nie genug Zeit habe. Bei dieser Gelegenheit beneide ich regelmäßig Maler, Grafiker und Zeichner, die weniger Probleme damit haben, dass ihnen beim Arbeiten irgendwelche gesungenen Textbruchstücke ins Gehege kommen.

Karin Schmidt, meine Lübbe-Lektorin, hat mir heute ihre Anmerkungen zum MAGNUS-Exposé gegeben. Solche Telefongespräche laufen meist ähnlich ab: Anfangs rege ich mich über jeden Einwand fürchterlich auf (vor allem, wenn die Meinung der Verlagsvertreter als Argument angeführt wird – einer der unsterblichen Standards in jedem Lektorat), um dann aber nach und nach einzusehen, dass manches wohl doch richtiger sein könnte, als mir lieb ist. Was wieder einmal beweist, wie wichtig Lektoren sind. In diesem speziellen Fall hat Karin mich vor allem überzeugt, einen bislang übernatürlichen Gegner gegen einen irdischen auszutauschen. Womit sie vollkommen richtig liegt. Ich hatte die ganze Zeit über Bauchschmerzen bei dieser Figur, wusste aber nie so recht, woran es lag. Ich habe sie in der Geschichte hin und her geschoben, habe mit verschiedenen Motivationen experimentiert – alles zwecklos. Am Ende habe ich sie einfach im Exposé stehen lassen, in der Hoffnung, dass mir beim Schreiben eine Lösung des Problems einfällt. Was vermutlich nicht passiert wäre. Und Karin hat das genau erkannt, ebenso wie auch zwei, drei kleinere Dinge. Ein Hoch auf ein gutes Lektorat!
Ich glaube, ich habe es schon einmal irgendwo geschrieben: Mit jemandem über scheinbar unwichtige Punkte innerhalb einer Geschichte zu sprechen, führt meist zu einer Kettenreaktion: Plötzlich fallen mir allerlei Dinge auf, die mir bis dahin vollkommen unproblematisch erschienen. (Oder eben Dinge – wie im Fall besagter Gegenspielerin – von denen ich eigentlich wusste, dass sie nicht funktionieren, es aber nicht recht wahrhaben wollte.) Nun ändere ich ein paar Sachen, muss ein neues Element noch mal recherchieren (in der Hoffnung, dass es nicht ausufert) – und dann kann ich nächste Woche endlich mit dem Schreiben beginnen.

4. April 2003
(…)

Den Rest des Tages werde ich mich einmal mehr mit dem MAGNUS-Exposé beschäftigen und ein paar Änderungen einarbeiten (die ich mir bei dem Gespräch mit Karin nur handschriftlich auf die erste Seite gekritzelt hatte). Am Montag geht´s dann los – mit der berühmten leeren ersten Seite. Dazu nächste Woche mehr.

7. April 2003
Der berühmte Schrecken der leeren ersten Seite hat sich mal wieder als weit weniger schrecklich als befürchtet erwiesen. Meist werde ich ein, zwei Tage vor Beginn eines neuen Romans ein wenig nervös und mache mir laufend Gedanken über den ersten Satz. In der Nacht von Samstag auf Sonntag habe ich sogar einen Satz geträumt, der mir im Halbschlaf noch ganz wunderbar erschien – bis ich ihn dann am Morgen aufschreiben wollte und festgestellt habe, dass er so toll nun doch nicht war.
Der tatsächliche erste Satz, wie er nun vorerst im Manuskript steht, fiel mir schließlich heute morgen beim Spaziergang mit den Hunden ein; eigentlich immer ein gutes Zeichen, weil mir dabei schon öfters passable Einfälle gekommen sind.
Nun steht er also schwarz auf weiß da, die ersten zehn Seiten ebenfalls, obwohl ich noch überlege, ob ich nicht doch einen Prolog (wie ursprünglich im Exposé geplant) davor setze. Mal sehen. Auch die erste Seite wird sich während der nächsten ein, zwei Wochen noch mehrfach ändern. Erst wenn ich ein längeres Stück beisammen habe, lasse ich endlich die Finger vom Anfang, um dann ganz zum Schluss, wenn alles Andere fertig ist, wieder ein wenig daran herumzuwerkeln.

8. April 2003
Der erste Tag ist meist einfach, der zweite ungleich schwieriger. Die Herausforderung des Anfangs ist geschafft, aber nun muss es weitergehen. Und noch weiter.
Das bedeutet, dass aus der Figur, die auf den ersten Seiten eingeführt wird (was im Prinzip nicht allzu schwer ist, wenn man sie über eine Handlung vorstellt) nun allmählich ein echter Charakter werden muss. Wesenszüge müssen „angefüttert“ werden, der Hintergrund erklärt, erste Schnipsel der Vorgeschichte eingeführt und zudem noch die aktuelle Situation der Figur erklärt werden – einschließlich solcher Dinge wie Beschreibungen des Schauplatzes. Kurzum: Die Exposition (also alles, was der Leser wissen sollte) muss so untergebracht werden, dass sie sich einerseits einprägt, andererseits aber nicht zum Selbstzweck gerät. Nichts ist tödlicher, als eine Figur mit einer Handlung einzuführen, um dann eben diese Handlung für mehrere Seiten zu unterbrechen und die gesamte Vorgeschichte auf einen Rutsch zu servieren. Es gibt Autoren, die das so machen, aber es ist weder besonders elegant, noch dem Leser gegenüber fair.
Will man es sich also nicht derart einfach machen, muss man als Autor auf den ersten dreißig, vierzig Seiten zwei Dinge GLEICHZEITIG erledigen: a) den Plot vorantreiben, und b) unterwegs die Exposition in kleinen Häppchen unterbringen.
Auf den allerersten Seiten (Tag 1) ist das noch nicht weiter schwer, weil man sich dabei (noch) auf den Plot konzentrieren kann – der Leser will ja erst einmal in das Treiben der Figuren hineingesogen werden -, doch gleich danach (Tag 2) wird´s haariger. Das sind meist die Seiten, auf denen ich ganze Absätze ewig hin- und herschiebe, alles noch mal doppelt und dreifach lese und trotzdem nie hundertprozentig zufrieden bin.

9. April 2003
Ein Tagebuch über die Arbeit an MAGNUS zu schreiben, ist ein wenig so, als versuchte man ein Making-Of eines Filmes zu drehen, ohne dessen Hauptfiguren und Schauplätze zu zeigen – und nichts über den Plot zu verraten. Ich fürchte, dass dies manchmal ein wenig verwirrend oder gar frustrierend für den Leser sein kann. Trotzdem, wer es schafft, den folgenden Absatz zu verstehen, der wird wohl auch in Zukunft keine Probleme mit diesem Journal haben …

Für die Einführung einer zweiten Hauptperson im zweiten Kapitel gilt grundsätzlich dasselbe, was ich gestern über den Auftritt der ersten Hauptperson gesagt habe. Was das Ganze (aus der Sicht des Autors) in diesem Fall interessant macht, ist die Tatsache, dass beide Kapitel eng miteinander verzahnt sind und zwei völlig unterschiedliche Perspektiven derselben Handlung zeigen: Figur 1 beobachtet im ersten Kapitel Figur 2 und hat ein bestimmtes Bild von ihr (was wiederum das Bild des Lesers von BEIDEN Figuren prägt); dann aber, im zweiten Kapitel, befinden wir uns in der Perspektive von Figur 2 und erfahren, zeitlich im Anschluss, was sie über Figur 1 und die gerade erfolgte Handlung des ersten Kapitels denkt. Dabei kommt es zu keinem radikalen Bruch (sonst wird so was schnell zum Gimmick: „Sieh mal, Leser, wie clever ich bin!“), aber die Wahrnehmung verschiebt sich ein wenig.
Erstaunlicherweise fiel es mir viel leichter, Figur 2 zu schreiben als besagte Figur 1. Was daran liegen könnte, dass Figur 2 weiblich ist, und somit wieder zur zweitmeistgestellten Interview-Frage führt: „Herr Meyer, warum sind eigentlich alle ihre Hauptfiguren Frauen?“ (Was nicht stimmt, aber das will eh keiner hören.)

10. April 2003
Noch keine Rückmeldungen im Forum auf das gestrige „Figur 1 / Figur 2“-Durcheinander. Was vermutlich bedeutet, dass sich alle noch die Köpfe kratzen. Wartet ab, bis erst die übrigen Hauptfiguren ins Spiel kommen …

14. April 2003
Heute zum ersten Mal in diesem Jahr mit dem Laptop auf der Terrasse unterm Sonnenschirm gesessen. Ich will nur noch im Freien schreiben! Bei wohltemperiertem Frühlingswetter! Ohne kalten Wind! Und ohne den Hund im Nachbargarten, der meine eigenen noch zum Wahnsinn treibt (und mich folglich gleich mit, obwohl man fairer Weise dazu sagen muss, dass es meine sind, die bellen – was rennt der da drüben auch im Garten um und spielt mit Bällen? Tut das ein Hund, der was auf sich hält? Pah!).

15. April 2003
Auftritt Figur 3 und 4. Im selben Raum mit Figur 1. Und Figur 5 ist eigentlich auch schon da, nur anderswo. Und weil jetzt gar keiner mehr irgendwas versteht, muss ich das Schreiben übers Schreiben an dieser Stelle irgendwie anders regeln. Oder die Details weg lassen. Bietet sich nach dem Anfang ohnehin nicht mehr so an.
Also verlegen wir uns auf die Schauplätze: Wald. Winter. Schnee. Und ein Mädchen namens Libuse. (Und wer jetzt darauf kommt, von welcher Schauspielerin – als Vorbild für eine Hauptfigur im Roman – vor ein paar Tagen die Rede war, bekommt zur Belohnung eine signierte Autorenkarte. Jawohl. Sagen wir, die ersten drei. Obwohl ich zuversichtlich bin, dass niemand darauf kommt. SO müssen Preisrätsel aussehen!)

Nachtrag, knapp eine Stunde später: Potzblitz (um im Genre des gesuchten Films zu bleiben), das ging schnell! Die Lösung steht schon im Forum. Die Karte geht an – tataaaa – Eva! Besten Dank an alle, die noch teilgenommen hätten … nun ja.

16. April 2003
Seitenrekord. Selten so viele Seiten in so kurzer Zeit an einem Tag geschrieben. Bin zufrieden. Allmählich läuft die Sache, die Figuren werden vertraut, aus dem Setup wird eine Geschichte.

17. April 2003
Vor kurzem habe ich erwähnt, dass es nur selten größere Verbrechen am Leser gibt, als eine Figur gleich auf den ersten Seiten mit ihrer kompletten Geschichte vorzustellen – sozusagen runtergeschrieben auf mehreren Seiten, damit man´s aus dem Weg hat.
So weit, so richtig.
Allerdings ist mir heute aufgegangen, dass es dazu – in meinen Augen – eine Ausnahme gibt. Und zwar nachdem ich gerade in MAGNUS einen Trick angewandt habe, den ich im ersten Moment für ziemlich clever hielt – bis mir auffiel, dass ich etwas Ähnliches schon in DIE ALCHIMISTIN (S. 15, Taschenbuch) und dann wieder in DIE UNSTERBLICHE (S. 10, TB) gemacht hatte. Und zwar Folgendes: Man steigt mit einer Handlung ein, führt sie recht schnell zu einem ersten kleinen Cliffhanger (in DIE UNSTERBLICHE ist es eher ein großer) und unterbricht dann die Szene mit einem Einschub über den Hintergrund der Figur. Dieser sollte nicht länger als drei, vier Buchseiten sein, denke ich. (Wahrscheinlich denke ich das exakt genau so lange, bis ich selbst irgendwann gegen diese Regel verstoße – aber so ist das mit Regeln, die man selbst aufstellt …). Dieser Einschub liefert dann zum einen wichtige Informationen, steigert aber zugleich die Spannung der ihn umgebenden Gegenwartshandlung.
Also: Ausnahmen gibt es immer. Man muss nur eine gute Ausrede finden.

22. April 2003
Nachdem ich heute Mittag schon so weit war, alles hinzuschmeißen und für heute Schluss zu machen – keine ganze Seite bis zwölf -, hab ich mich dann noch selbst überrascht: Gegen Mitte des Nachmittags waren es plötzlich elf Seiten. Einer der ersten großen, wichtigen Dialoge. Manchmal schreiben sich solche Sachen von selbst. Das trifft bei mir gerade auf Dialoge zu: Die Personen reagieren aufeinander, eine Erwiderung folgt auf die andere – nichts schreibe ich lieber, weil hier das viel beschworene Eigenleben der Figuren tatsächlich fast da ist. Besser wird´s nicht. Und wenn man nebenbei noch Informationen untergebracht bekommt, die für die Geschichte (und den Leser) wichtig sind, darf man sich auf die Schulter klopfen.

23. April 2003
Zwei der vier wichtigsten Hauptpersonen sind sich heute endlich begegnet und hatten ihren ersten kurzen – und ein wenig merkwürdigen – Dialog. Etwa auf Seite 80, was mir im Nachhinein recht spät vorkommt – andererseits habe ich immer noch das Gefühl, ganz am Anfang des Romans zu stehen. O je, mir schwant Schlimmes für die Gesamtlänge. Vor allem, nachdem ich mich auch schon bei der WELLENLÄUFER-Trilogie kräftig verschätzt hatte. Zum Glück gibt es natürlich bei normalen Romanen keine Seitenvorgabe, so dass die Geschichte letztlich selbst entscheidet, wie lang sie wird. Wenn da nur nicht der arme Kerl wäre, der sie aufschreiben muss.

Bekannte erzählen mir ab und an, dass jemand auf dem Nebensitz im Flugzeug eines meiner Bücher gelesen hat. Was fast so gut ist wie der Tag, als mein Vater anrief und meinte, im Sportteil der „Welt“ sei der Fußballtrainer Winfried Schäfer in der Hängematte mit der ALCHIMISTIN abgebildet. Nun habe ich keine Ahnung von Fußball, und Schäfer kannte ich vorher auch nicht, aber ich habe ihn dann trotzdem angerufen und mich für die freundliche Werbung bedankt. Woraufhin für Alex, der mehr von Sport versteht, immerhin ein signiertes Trikot eintrudelte. Leider vom falschen Verein. (Aber verratet das nicht Schäfer.)

25. April 2003
MAGNUS nähert sich der ersten 100-Seiten-Marke. Und ich hoffe, dass ich nach der Lesereise im Mai endlich einmal länger als drei Tage am Stück daran arbeiten kann. Die vergangenen Wochen waren voll von ein- bis zweitägigen Unterbrechungen, was jedes Mal einen gewissen Aufwand bedeutet, um wieder in die Figuren und Situationen hineinzufinden. Und wieder einmal schwöre ich: Im nächsten Jahr weniger Lesungen! (Obwohl ich ohnehin schon die meisten Anfragen ablehne. Keine Ahnung, wann all die Autoren schreiben, die permanent durch die Lande zu tingeln scheinen. Schreiben die im Zug? Im Hotel? In der Badewanne? Zweckdienliche Hinweise bitte an mich.)

28. April 2003
Seit heute mit MAGNUS im dreistelligen Seitenbereich, was kein unbedingt wichtiger, aber ein motivierender Schritt ist. Ich bin sowohl beim Lesen, wie auch beim Schreiben schrecklich Seitenzahl-fixiert. Selbst bei Büchern, die ich richtig gern lese, schiele ich bei jedem Blättern auf die Seitenzahl und überschlage, wie viel ich denn nun noch lesen muss. Beim Schreiben ist das ähnlich und doch komplizierter, weil ich schließlich nicht einfach zum Ende blättern und nachsehen kann, wie viele Seiten das Ganze insgesamt hat. Da seid ihr später deutlich im Vorteil. (Obwohl mir die meisten immer versichern, dass sie nie oder kaum auf Seitenzahlen achten. Was vermutlich auch besser so ist.)

Zum Stand der Handlung: Die Figuren stecken die Mission ab. Noch mehr wichtige Informationen werden gegeben. Die Beziehungen der Protagonisten untereinander werden deutlicher, zusammen mit Teilen der Vergangenheit Einzelner. Und die Reise hat noch immer nicht begonnen.

2. Mai 2003
Cliffhanger begegnen einem mittlerweile in jeglicher Form von Unterhaltung. Alle TV-Serien arbeiten damit, jede x-beliebige Quizshow, natürlich Romane, Filme, Comics; vermutlich fände man auch Argumente für Cliffhanger-ähnliche Mechanismen in der klassischen Musik.
Als ich mit 19 oder 20 meine Handvoll Heftromane schrieb, gehörten Cliffhanger zum Standard. In den Büchern bin ich mehr und mehr davon abgekommen und habe mehr Wert auf breiter angelegte Spannungsbögen gelegt. Und dennoch – es geht nichts über einen feinen altmodischen Cliffhanger dann und wann, um eine Szene interessanter zu gestalten.
Die eleganteste Lösung hierfür sind natürlich Ortswechsel zu anderen Handlungssträngen, ausgerechnet dann, wenn es anderswo gefährlich oder interessant wird. Etwas schwieriger sind dagegen Cliffhanger OHNE den Ort zu wechseln, ganz besonders, wenn man sie innerhalb eines fortlaufenden Dialogs setzen will. Das bedeutet: Person A und B unterhalten sich, A sagt etwas besonders Dramatisches – und auf dem Papier endet die Szene hier durch Sternchen, Leerzeilen oder gar ein Kapitelende. Tatsächlich aber läuft – auf der Wirklichkeitsebene der handelnden Figuren – der Dialog ohne Unterbrechung weiter, denn im wahren Leben machen wir nach einer überraschenden Eröffnung keine dramatische Pause, sondern quasseln eher noch schneller und aufgeregter daher.
Es gibt Autoren, die in solch einem Fall recht skrupellos einen Einschnitt vornehmen, drei Sternchen und Leerzeilen setzen und anschließend weitermachen wie bisher. Das ist die grobe und wenig stilvolle Variante. Freisprechen kann sich wahrscheinlich niemand so ganz davon: Ich fürchte, irgendwo habe ich das vermutlich auch schon gemacht. Besonders schön ist es freilich nicht.
Alternativ bietet sich ein Kunstgriff an, den ich ab und an – allerdings nicht übermäßig – einsetze. So auch heute, irgendwo um Seite 120 des MAGNUS-Manuskripts herum.
Und das geht so: Der Dialog wird durch eine wichtige und erstaunliche Eröffnung unterbrochen, es folgt ein Szenenende (bei mir drei Sternchen), und danach geht das Gespräch im Grunde ohne Pause weiter – allerdings wird er wie eine komplett NEUE Szene behandelt, in dem eben nicht gleich wieder in die wörtliche Rede eingestiegen wird, sondern erst erneut die äußeren Umstände und die Atmosphäre des Schauplatzes eingefangen werden. Natürlich sollte sich an beidem irgendetwas verändert haben – ein abrupter Wetterwechsel bietet sich an, aber es gibt viele andere Möglichkeiten -, sonst machte die erneute Beschreibung keinen Sinn und wäre nichts als Zeilenschinderei.
In meinem Fall befinden sich die beiden Personen auf einem Turm, rundum liegt seit Wochen Schnee. Der Dialog bricht ab, drei Sternchen – und es folgt eine knappe Seite Beschreibung eines plötzlichen Schneeeinbruchs, der die umliegende Landschaft vollkommen verschleiert. Mit einem Mal scheint der Turm im Nichts zu schweben, umwirbelt von weißen Wolken. Und obwohl der Dialog nun weitergeht, spiegelt sich der Wechsel im Inneren der Personen (durch besagte Eröffnung) nun auch in den äußeren Umstände wider.
Das Ganze ist im Grunde ein klassisches filmisches Mittel. In einem Horrorfilm wäre die platteste aller Entsprechungen der Donnerschlag im Off, dann der Schnitt auf das von Blitzen erhellte Schloss, schließlich der Schnitt zurück auf die Schauspieler im Inneren. Das ist ein böses Klischee und natürlich nicht zu empfehlen. TV-Serien arbeiten manchmal ähnlich, wenn sie nach dem Werbeblock und vor der Fortführung des Dialogs erst einmal wieder eine Außenaufnahme des Schauplatzes zeigen (beliebt in Sitcoms: Außenansicht des Hauses).
Wenn mir also oft gesagt wird, meine Romane lesen sich wie Filme, dann liegt das vermutlich eben auch an Tricks wie diesem: Kleinen, vielleicht ein wenig unfairen, aber recht effektiven Spannungsmomente.

5. Mai 2003
Trommelwirbel! Hörner! Dunkles Bassgeschrammel! Jawohl, der Bösewicht tritt auf. Heute und zum ersten Mal in Person. Und obwohl schon von ihm gesprochen wurde – und nichts Gutes – ist er auf den ersten Blick so schlimm gar nicht. Was sich bald ändern wird …
Nach wie vor überlege ich, ob das Buch nicht doch einen Prolog braucht. Eigentlich bin ich mittlerweile davon überzeugt. Und ich denke, eben jener Schurke sollte darin bereits eine größere Rolle spielen. Aber wie? Was soll er tun? Eine bestimmte Szene bietet sich an, wäre aber zugleich die einfachste Lösung – und irgendwie nicht das, was ich dem Leser/der Leserin gleich auf den ersten Seiten präsentieren will. Ich schätze, an diesem Problem werde ich noch eine Weile herumkauen. Trotzdem: Ein Prolog muss her. Denke ich heute. Mal sehen, wie´s nächste Woche aussieht.

8. Mai 2003
Eine der unangenehmsten Szenen im vorderen Teil von MAGNUS ist jetzt geschrieben. Arme Libuse! „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ ist das nicht mehr.

19. Mai 2003
Nach über einer Woche wieder in den Fluss einer Geschichte hineinzufinden, kann schwierig sein. Details verschwimmen; Figuren werden unscharf; und, am schlimmsten, man fragt sich plötzlich an allen Ecken und Enden, welche wichtigen Informationen man nun schon irgendwo untergebracht hatte und welche nicht. Weiß Figur A bereits alles über Figur B? Oder hatte ich mir einen Teil der wichtigen Dinge für einen späteren Zeitpunkt aufgehoben? Vielleicht gar für die Szene, die ich HEUTE schreiben wollte?
So was kann einen in den Wahnsinn treiben, wenn man nicht aufpasst. Ein ausführliches Exposé ist da sehr hilfreich – vorausgesetzt, man hat sich sklavisch an jedes Detail gehalten. Was ich nicht tue. Also bleibt nichts übrig, als ein paar Schlüsselszenen noch einmal nachzulesen; und, weil ich ja gerade dabei war, eben diese einem weiteren, nicht geplanten Korrekturdurchgang zu unterziehen.
Erfreulicherweise fiel mir das leichter, als ich befürchtet hatte. Kaum Korrekturen und nur Weniges, das ich vergessen hatte. Und dann gleich elf Seiten in gerade mal drei Stunden geschrieben, so gut lief es auf Anhieb. Was insgesamt gesehen für den Roman spricht, vor allem aber für die Figuren – offenbar sind sie mir bereits vertrauter, als ich dachte.

20. Mai 2003
Stecke jetzt in einer der ersten großen Actionszenen von MAGNUS. Ungewöhnlicher Schauplatz, was es auch beim Schreiben interessanter macht. (Und nicht ganz leicht zu beschreiben bzw. in seiner Intensität zu vermitteln, aber es scheint zu klappen.) Außerdem steht der erste Tod bevor, hoffentlich einer, mit dem man nicht rechnet. Die Figur, die es trifft, ist eigentlich klassischer „Begleiter von Helden“ und daher normalerweise eher immun gegens Sterben – jedenfalls in der frühen Phase eines Romans.
Also: Weg damit! (Sagt der Autor und lächelt sardonisch.)

21. Mai 2003
Weil MAGNUS wohl ein ziemlich umfangreiches Buch wird, vor allem aber über lange Zeit zwei räumlich weit, weit auseinander liegenden Handlungssträngen folgt, unterteile ich das Ganze in mehrere, nun, Teile – oder eben „Bücher“, wie man das spätestens seit dem „Herrn der Ringe“ gerne macht. (Ja, ich weiß: Und in der Bibel und in diversen Klassikern, schon klar.)
Jedenfalls habe ich heute das Ende des ersten Teils geschrieben, der mit besagter Action-Szene und ein wenig Tragik endet (und einem Cliffhanger). Wenn ich sage „Action“, dann meine ich damit nicht wildes Schwertergeklirre (das gab´s schon vorher), sondern eher etwas in der Art von „Treppen-in-Moria“-Action, um im eingeführten Rahmen zu bleiben. Die meisten werden´s verstehen.
(Der Vergleich fiel mir eben erst ein und nun bin ich ein wenig perplex, wie gut er passt – fast ein wenig ZU gut, für meinen Geschmack. Aber es geht nicht um Treppen, immerhin.)

22. Mai 2003
Weil MAGNUS in mehreren vollkommen unterschiedlichen Landschaften und Kulturkreisen spielt, hatte ich mir einen Teil der Recherche für später aufgehoben. Nun ist „später“ leider „heute“, was mich selbst ein wenig überrumpelt hat. Ich hatte ja gestern erwähnt, dass mit dem zweiten Abschnitt des Romans ein radikaler Orts- und Figurenwechsel stattfindet. Heute musste ich dann feststellen, dass ich einen Teil des entsprechenden Hintergrunds noch nachlesen musste – was ich getan habe, dadurch aber keine weiteren Seiten geschrieben habe. Weil es über diese, nennen wir sie mal: Gruppe von Menschen, um die es dort geht, kaum Literatur gibt, benutze ich kurzerhand Informationen über eine im Ansatz vergleichbare „Gruppe“, die allerdings sehr viel weiter östlich beheimatet war. (Und gar so weit führt MAGNUS dann doch nicht.) Manchmal bleibt einem nichts anderes übrig als derart zu improvisieren – auch mit den Fakten.

23. Mai 2003
Noch ein zusätzlicher Tag Recherche. Am Montag geht´s dann mit dem Schreiben weiter, dem neuen Handlungsort, einer neuen Hauptperson und einem vollkommen anderen kulturellen Umfeld – und das nun wirklich in jeder Beziehung. Ich bin gespannt, wie sich das beim Lesen machen wird. Ein Bruch? Nur auf den ersten Blick, glaube ich. Denn eine Sache, die im ersten Teil des Romans nur angerissen wurde, wird nun von einer ganz anderen Seite beleuchtet. Später, weiter hinten, werden die beiden Gegensätze dann aufeinander treffen und mit einem Mal auf dasselbe hinauslaufen.
(Klingt das kryptisch? Keine Sorge – es sind ja nur noch ungefähr, uh, SECHZEHN Monate, bis das Buch erscheint.)

26. Mai 2003
Heute also mit dem zweiten Teil von MAGNUS begonnen, dabei die Seite 200 überschritten und zugleich versucht, einige neue Figuren auf möglichst wenigen Seiten in den Griff zu bekommen. Der radikale Ortswechsel führt unter anderem auch dazu, dass die Personen teils seltsame Namen haben (einige sind historische Persönlichkeiten, können also nicht umbenannt werden). Mindestens einen Namen, der in der heutigen Szene vier- oder fünfmal erwähnt wurde, musste ich aufgrund der Schreibweise jedes Mal wieder von Neuem nachschlagen. Dabei hab ich die Figur selbst (die heute noch nicht persönlich in Erscheinung getreten ist) als Charakter schon recht gut im Kopf. Aber dieser Name …

27. Mai 2003
Eine Figur, die im Exposé gar nicht vorkommt, hat sich heute unverhofft ziemlich aufgeplustert und hat weit mehr Bedeutung bekommen, als gestern bei ihrer „Erfindung“ geplant. Das spricht nicht gegen Exposés, sondern dafür: Hätte ich keines, müsste ich jetzt vermutlich hektisch etwas im Kopf umplanen, was noch gar nicht komplett geplant war. So aber brauche ich nur ins Exposé zu schauen, nachsehen, wo noch genügend Platz ist, und die Figur dort hineinsetzen – ohne etwas am Plot an sich zu ändern.
(Womit ich meine frühere Behauptung – Exposés sind überlebenswichtig! – geschickt so zurecht gebogen hätte, dass sie wieder stimmt. Weisheit bewahrt. So soll´s sein.)

29. Mai 2003
Der neue MAGNUS-Handlungsstrang läuft wunderbar flüssig und geht mir viel leichter von der Hand, als ich befürchtet hatte. (Jetzt kann ich mir sogar die Namen der neuen Charaktere merken …) Ich bin schon jetzt sehr gespannt darauf, wie die beiden sehr unterschiedlichen Handlungsebenen bei euch Lesern ankommen werden – dass es Fürsprecher auf beiden Seiten geben wird ist jedenfalls absehbar.

2. Juni 2003
Eigentlich sah es heute morgen nach einem dieser Tage aus, an denen ich so gut wie nichts zustande bringe. Das kommt nicht oft vor, aber gelegentlich eben schon. Und das hat – wie heute – meist folgenden Grund: Unerwartete Änderungen im Exposé!
Wie bereits erwähnt besteht der erste Teil von MAGNUS, etwa die ersten 200 Manuskriptseiten, aus dem ersten Handlungsstrang. Ich hätte ihn kürzer gehalten, aber beim Schreiben hat sich das als unmöglich erwiesen. Und ich denke, er funktioniert auch so ziemlich gut. Mit dem Beginn des zweiten Handlungsstrangs – auch das habe ich schon geschrieben – erfolgte dann ein vorläufiger Orts- und Personenwechsel. Nun dachte ich, dass die ersten Kapitel dieses zweiten Strangs recht umfangreich werden würden (viele neue Figuren in einem recht komplexen Beziehungsgeflecht mussten vorgestellt werden). Erfreulicherweise habe ich jedoch heute morgen festgestellt, dass sich diese „Einführung“ in den neuen Personenkreis sehr viel knapper machen lässt als im Exposé geplant. Das ist, für mich jedenfalls, eine gute Nachricht. Die schlechte aber ist, dass ich dementsprechend heute ohne Exposévorgaben arbeiten musste (aufgrund der Kürzungen musste eine neue Szene eingeschoben werden, die so nicht im Exposé steht).
Das aber sind genau jene Momente, in denen mir in der Regel tausend andere Sachen einfallen, die ich eigentlich dringend tun müsste: Hundefutter einkaufen, die Spülmaschine ausräumen, Unkraut in der Einfahrt entfernen usw. Für gewöhnlich erfordert es dann eine ziemliche Willensanstrengung (und die viel beschworene Disziplin des Schriftstellers), mich TROTZDEM hinzusetzen und zu schreiben. Drei Seiten lang war das heute ganz grauenvoll – ich dachte, nie, nie, nie kriege ich diese Szene so hin, wie ich sie haben will. Und was, wenn die Kürzung doch keine gute Idee war? Oder der Zeitsprung VOR der Szene zu verwirrend für den Leser? Leute in kreativen Berufen kennen vermutlich solche Selbstzweifel, und davon hatte ich heute ungefähr zwei Stunden lang eine ganze Menge.
Und dann, ganz plötzlich, flossen die Seiten wie von selbst! Irgendwie hatte ich diese magische Schwelle überschritten, an der Schreiben bei mir zum Selbstläufer wird – einfach anfangen, und der Rest klappt von selbst. Innerhalb von drei, vier Stunden waren zehn Seiten fertig, die Szene rund, das Kapitel abgeschlossen und der Sprung ZURÜCK zum ersten Handlungsstrang vollzogen. Ich bin stolz auf mich, jawohl.

3. Juni 2003
Wieder zurück im ersten Erzählstrang und damit am Beginn der eigentlichen Reise der Hauptfiguren. Und, o je, schon jetzt einen ziemlichen Haufen Invaliden am Hals. Man kennt das ja aus alten Western, in denen Leute angeschossen werden und anschließend ohne Sattel drei Wochen übers Gebirge reiten, ohne mit der Wimper zu zucken. Dem zu entgehen ist manchmal gar nicht so einfach. Allerhöchstens darf man Heilmethoden eine Winzigkeit übertreiben oder vielleicht auch die Wundheilung einen Tick beschleunigen. (Und man WILL ja auch nicht wirklich über Kranke und Verletzte lesen, das nimmt dem Ganzen schnell ein wenig vom Schwung.)
Trotzdem: Meine Helden sind schon reichlich mitgenommen, ehe sie überhaupt aufgebrochen sind – körperlich, aber auch psychisch. Wenn ich´s mir genau überlege (und das tue ich tatsächlich gerade in diesem Moment zum ersten Mal), dann ist den Hauptfiguren schon so ziemlich jede Schandtat widerfahren, die mir auf Anhieb einfällt. Aber gerade das sind Ausgangssituationen, die einer Geschichte zusätzliche Würze geben können. Und bei MAGNUS scheint das in der Tat der Fall zu sein.
Es folgt – wohl morgen – noch mal eine längere Dialogszene, und dann sind die Fünf endgültig unterwegs. Und damit BEGINNT die eigentliche Geschichte ja erst …

10. Juni 2003
Nach ein paar Tagen Pause läuft die Arbeit an MAGNUS wieder. Seit heute weiß nun auch die letzte Hauptfigur, was in der Geschichte auf dem Spiel steht – womit ein Großteil der wichtigen Informationen für den weiteren Verlauf des Plots gestreut wäre. (Natürlich, ein paar Geheimnisse halte ich auch für die nächsten paar hundert Seiten in der Hinterhand – für überraschende Wendungen und sonstige Eröffnungen.)

12. Juni 2003
Ich habe ja oft erklärt, dass ich historische Romane selbst beinahe nie lese, weil sie mir oft zu belehrend und überrecherchiert daherkommen. Heute stand ich vor dem Problem, in einer MAGNUS-Szene die verschiedenen Formen mittelalterlicher Kartographie erklären zu müssen. Erst habe ich überlegt, ob es wohl eine Möglichkeit gäbe, dies ungemein geschickt und beiläufig zu erledigen – und dann habe ich doch den einfachsten Weg gewählt (also jenen, den ich sonst immer kritisiere) und die Informationen in anderthalb Seiten Erklärtext gepackt. Mal kann man das machen, schätze ich – dann aber bitte kompakt und wirklich nur sehr sporadisch.

13. Juni 2003
Beim Arzt gewesen – und gleich eine Einweisung ins Krankenhaus bekommen. Eingriff unter Vollnarkose. Na, wunderbar.
(Nichts allzu Tragisches, aber schmerzhaft. Bin am Montag dankbar für jeden gedrückten Daumen!)

Danach dann trotzdem noch zehn Seiten MAGNUS geschrieben. Unter Schmerzen. Ich bin ein Held. (Allerdings kein so großer wie Michael Marrak, der mir mal erzählt hat, in welchem Zustand er Teile von „Imagon“ geschrieben hat.)

15. Juni 2003
Die Schmerzen sind so gut wie verschwunden – was die Entscheidung, morgen tatsächlich ins Krankhaus zu gehen, nicht eben einfacher macht. In einer idealen Welt würde ich morgen früh dem Arzt erzählen, es sei viel besser geworden, er würde das einsehen und mich nach Hause schicken. Da aber in überfüllten Krankhäusern notgedrungen wie am Fließband gearbeitet wird, werden die mich wohl einfach auf den OP-Tisch wuchten. „Der Nächste bitte!“

16. Juni 2003
Oberarzt: „Herr Meyer, sind Sie sicher, dass Sie an DIESER Stelle ein mehrere Zentimeter großes Loch haben wollen, das bis auf den Knochen reicht und vier Wochen lang OFFEN zuheilt?“
Patient (schluckt): „Offen?“
Oberarzt: „Wir können die Wunde nicht nähen, sonst bildet sich Eiter.“
Patient: „Oh.“
Oberarzt: „Wollen Sie also wirklich an DIESER Stelle (usw.) … – oder möchten Sie lieber wieder nach Hause fahren?“
Patient: „Nun ja …“
Oberarzt: „Habe ich schon erwähnt, dass diese Sache TROTZ Operation in 30 Prozent der Fälle erneut auftritt?“
Patient (hat´s begriffen): „Auf Wiedersehen.“

So geschehen heute morgen. Und nun sitze ich ein wenig ratlos wieder zuhause. Mein Hauschirurg meinte, dass Ganze sei so akut, dass er mich am liebsten gleich am Freitag eingewiesen hätte. Der Chirurg im Krankhaus dagegen behauptet, es bestehe überhaupt keine Gefahr; und wenn der Schmerz wiederkäme oder stärker würde, könnte ich ja immer noch erneut vorbeikommen.
Da lobe ich mir meinen Bäcker, der kann mir morgens wenigstens klar sagen kann, ob die Brötchen heute hell oder dunkel sind.

17. Juni 2003
Heute Seite 300 geschrieben. Es ist der hintere Zipfel eines Kapitels, von daher ist es keine GANZE Seite 300. Was aber nichts macht, weil das nächste Kapitel auf Seite 301 beginnt. Wichtige Einschnitte im Leben eines Autors. In gewisser Weise.

Ich kann mich nicht erinnern, in irgendeinem Buch so spät noch neue Figuren eingeführt zu haben, die wirklich wichtig sind. Was zum größten Teil damit zu tun hat, dass ich aus dem einen Bösewicht im Exposé (genauer: einer BösewichtIN) mehrere (männliche) Schurken gemacht habe. Der eine ist ein Nigromant. Erinnert sich noch jemand, was das ist? Jedenfalls kein gebräuchliches Wort mehr, so viel ist klar.
Er ist sehr höflich. Und er hat eine Schlange dabei.

24. Juni 2003
MAGNUS, das habe ich schon mehrfach erwähnt, folgt im Großen und Ganzen zwei örtlich getrennten Erzählsträngen. Einer steht klar im Vordergrund, der andere nimmt weit weniger Raum ein. Nun gibt es zwei Möglichkeiten, wie man solche Doppelhandlungen aufbauen kann: Entweder zeitlich parallel laufend, oder aber vollkommen unabhängig voneinander. Ein Beispiel für die erste Variante ist, um im Fantasygenre zu bleiben, „Der Herr der Ringe“; hier hat Tolkien große Mühe darauf verwendet, die aufgesplitteten Erzählstränge im zweiten und dritten Band zeitlich exakt im selben Rahmen laufen zu lassen. Das heißt, wenn bei den einen Figuren ein Tag und eine Nacht vergehen, dann vergeht dieselbe Zeit auch bei den anderen.
Dagegen habe ich mich bei MAGNUS für die zweite Möglichkeit entschieden. Der erste Erzählstrang kann innerhalb einer Szene durch ein Kapitel des zweiten Strangs unterbrochen werden, in dem mehrere Tage vergehen; danach geht der erste Strang weiter, und hier sind nur wenige Minuten verstrichen.
Möglich ist dies (meiner durchaus subjektiven Ansicht nach), wenn sich die Figuren beider Stränge zuvor nicht begegnet sind – also anders als bei Tolkien, wo die Charaktere gemeinsam aufbrechen, sich trennen und schließlich wieder zusammen finden. In MAGNUS starten sie getrennt und treffen sich erst sehr spät im Buch. Daher spielt es keine Rolle, ob wir uns im einen Strang eventuell drei Tage vor oder hinter der Zeitebene des anderen befinden.

1. Juli 2003
In MAGNUS tut sich seit gestern Unerwartetes. Einer der Schurken hat erhebliches Eigenleben gewonnen und diktiert mir gerade seine nächsten Schritte. Damit mischt er einige Szenen gründlich auf und gewinnt an Schattierungen, die ich nicht eingeplant hatte. Folglich hält der Plot auch für mich neue Überraschungen bereit, denn morgen werden sich zwangsläufig Dinge tun, von denen ich jetzt noch gar keine Ahnung habe. Spannend.

2. Juli 2003
Heute gab´s eine hübsche Spannungssequenz, eine dieser Szenen, die sich meist wie von selbst schreiben. (Vergleichbar mit jener in DAS ZWEITE GESICHT, in der Chiara in Torbens Wohnung eintrifft; oder Auras Leichenfund in der Bibliothek in DIE UNSTERBLICHE; nur dass es diesmal keine Leiche gab – jedenfalls noch nicht.)

3. Juli 2003
Ich muss ja sagen, ich liebe meinen Schurken! Er mordet, vergewaltigt und hat vermutlich noch ein paar schlimmere Dinge auf Lager – aber seit ich begonnen habe, Szenen in MAGNUS auch aus seiner Sicht zu schreiben, finde ich ihn durch und durch liebenswert. Und ich denke, genau so muss es sein, wenn man einen Bösewicht eines Romans glaubwürdig und interessant gestalten will. Ein Autor muss seine Figuren mögen, ganz gleich ob gut oder böse oder ein wenig von beidem. Warum sonst sollte er über sie schreiben? Oder irgendwer etwas über sie lesen wollen?

4. Juli 2003
Der zweite Teil (sprich: das zweite „Buch“) von MAGNUS ist jetzt abgeschlossen und hat exakt so viele Seiten wie der erste. Das ist Zufall, aber ein erfreulicher. Es ist immer hübscher, wenn solche Teile ungefähr die gleiche Länge haben. Zwingend ist das natürlich nicht, und es würde mich wundern, falls es beim dritten und vierten Teil ebenfalls hinkäme – gerade das letzte Stück tendiert bei mir immer dazu, länger und länger und länger zu werden.

6. Juli 2003
Kommentarlos ein paar Zitate von Jorge Luis Borges, aus einem wunderbaren Büchlein, das ich heute zu Ende gelesen habe:
Jorge Luis Borges, „Das Handwerk des Dichters“, übersetzt von Gisbert Haefs, Hanser 2003; Dt. Ausgabe (c) Carl Hanser Verlag

„Heute erfinden die Leute so viele Plots, dass wir von ihnen geblendet sind. Aber vielleicht wird dieser Anfall von Erfindungsreichtum vergehen, und dann können wir feststellen, dass diese vielen Plots nur Abwandlungen weniger Kernplots sind.“

„In gewisser Weise hungern und dürsten die Leute nach dem Epischen. Ich habe das Gefühl, das Epos ist eines der Dinge, die die Menschen brauchen.“

„Wenn ich eine Geschichte schreibe, schreibe ich sie, weil ich irgendwie an sie glaube – nicht wie man an die bloße Historie glaubt, sondern eher, wie man an einen Traum oder eine Idee glaubt.“

„Ich glaube, das, was ich gelesen habe, ist viel wichtiger als das, was ich geschrieben habe. Denn man liest das, was man mag – aber man schreibt nicht, was man schreiben möchte, sondern was man zu schreiben fähig ist.“

„Das Glück eines Lesers ist jenseits dessen eines Schreibers, denn der Leser braucht keine Mühe, keine Besorgnis zu empfinden: Er ist nur auf das Glück aus. Und für einen Leser stellt sich Glück oft ein.“

„Als ich jung war, glaubte ich, wenn ich einen Sonnenuntergang bräuchte, müsste ich das genaue Wort für einen Sonnenuntergang finden – oder, besser, die überraschendste Metapher. Jetzt bin ich zu dem Schluss gelangt, dass ich nicht mehr an den genauen Ausdruck glaube: Ich glaube nur an die Anspielung. Wir können nur versuchen, die Vorstellungskraft des Lesers zu aktivieren.“

„Ich glaube nicht, dass Intelligenz viel mit der Arbeit eines Schriftstellers zu tun hat. Ich finde, eine der Sünden der modernen Literatur ist ihre Selbstbezogenheit.“

„Der Leser tut seinen Teil der Arbeit; er bereichert das Buch.“

7. Juli 2003
Seite 400, tataaa! Damit ist MAGNUS jetzt schon umfangreicher als z.B. DER RATTENZAUBER und etwa genau so dick wie DER SCHATTENESSER. Mit dem Unterschied, dass ich – wenn es hoch kommt – gerade einmal die Mitte der Geschichte erreicht habe. Grob geschätzt. Vage hochgerechnet bedeutet dass am Ende 800 bis 900 Manuskriptseiten, was ungefähr auf 700 Buchseiten hinaus liefe. Und NATÜRLICH kann sich das alles noch ändern. Mehrmals.

8. Juli 2003
Am vergangenen Wochenende bin ich während einer Lesung zum ersten Mal seit über zwanzig Jahren einer meiner früheren Grundschullehrerinnen begegnet. Noch dazu einer, vor der ich als Kind schreckliche Angst hatte. Heutzutage entpuppte sie sich als freundliche, liebenswerte ältere Dame, die mir gestand, sie habe DIE ALCHIMISTIN nicht bis zum Ende lesen können, weil ihr das Buch zu grausam sei. Daran musste ich heute morgen denken, als ich vor dem Problem stand, drei Dutzend brennende Menschen zu beschreiben.
MAGNUS ist kein Buch für meine Grundschullehrerin, fürchte ich.

9. Juli 2003
Der zweite Handlungsstrang von MAGNUS, den ich hier ja schon des öfteren erwähnt habe, bietet genug Plot für einen eigenen Roman. Trotzdem versuche ich, ihn in Kapiteln von zwanzig, dreißig Seiten abzuhandeln, die eher spärlich über das gesamte Buch verteilt sind (etwa alle hundert, zweihundert Seiten). Es macht wenig Sinn, ihn gleichberechtigt parallel laufen zu lassen, auch wenn ich die Hauptfigur ebenso gern mag (und sie zudem ein wenig exotischer ist als die übrigen): Eine ausgewogenere Gewichtung würde die Leser womöglich zu sehr von den eigentlichen Protagonisten ablenken.
Da sich aber trotzdem auch im zweiten Strang einiges tut, stellt mich das vor eine interessante Aufgabe: Hier versuche ich, eine gehörige Portion Plot auf dem kleinsten möglichen Raum zu erzählen. Der Trick – und ohne die Erwähnung hier im Journal würde das vermutlich kaum jemandem auffallen – ist der, den zweiten Strang wie einen „dünnen“ Roman zu schreiben. Erinnert sich noch jemand an die Zeiten, als historische oder auch Fantasy-Romane selten mehr als dreihundert Seiten hatten? Damals wurde nicht jeder Schritt der Helden dokumentiert, nicht jeder Dialog vollständig ausgebreitet und nicht jeder Gasthof bis ins letzte Detail beschrieben. Vor allem aber fanden Ereignisse im „Off“ statt, das heißt, sie wurden von Figuren erwähnt, nachdem sie eigentlich bereits stattgefunden hatten (oder gerade anderswo stattfanden) – einen Kniff, den sich die Autoren vom Theater abgeschaut haben.
Und während ich heute eine solche Szene geschrieben habe, ist mir wieder einmal bewusst geworden, das es – zumindest unter dramaturgischen Gesichtspunkten – schwerer ist, ein gutes dünnes Buch zu schreiben, als ein gutes dickes.

10. Juli 2003
Romane, in denen die Protagonisten größere Entfernungen hinter sich bringen müssen, gelangen mehr oder minder zwangsläufig irgendwann an den Punkt, an dem es nötig wird, Distanzen – und damit Tage – zu überspringen. Die einfachste Lösung dafür ist ein Kapitelanfang á la „Zwei Wochen später erreichten sie …“. Was mich daran oft stört, und weshalb ich selbst damit sehr vorsichtig umgehe, ist die Tatsache, dass man damit eben nicht nur zwei Wochen Weg, sondern auch zwei Wochen Charakterentwicklung überspringt.
Meist begegnen sich die Figuren am Anfang des Romans, und dort werden die ersten Konflikte oder Sympathien angelegt. Dann beginnt die Reise. Zu diesem Zeitpunkt sind die Beziehungen der Figuren untereinander nur in den seltensten Fällen voll entwickelt (es sei denn, sie kennen sich schon vor Antritt der Reise seit langer Zeit). Setzt man dann einen Einschnitt – z.B. besagte zwei Wochen – dürfen sich die Figuren danach nicht einfach genauso verhalten wie zuvor. Denn auch in diesen zwei Wochen geschieht irgend etwas, selbst wenn es nur Gespräche sind, welche die Beziehungen vertiefen, Konflikte verschärfen usw. Einen absoluten Stillstand kann es während dieser Zeit (und zwischen Personen, die sich gerade erst getroffen haben) nicht geben, das liegt schlichtweg nicht in der menschlichen Natur.
Dies wiederum bedeutet, dass ein Autor, entscheidet er sich tatsächlich für einen solchen Zeitsprung, danach das Geschehene rekapitulieren muss. Für gewöhnlich in Form von Erinnerungen (innerer Monolog). Ungeschickter ist ein szenisch komplett ausgearbeiteter Flashback/Rückblick: Dann nämlich hätte man den Sprung gar nicht erst machen müssen, sondern hätte das Ganze gleich chronologisch fortlaufend erzählen können.
Trotzdem ist es ein verbreitetes Übel, gerade in Fantasyromanen, in denen sich die Helden auf monatelange Questen begeben, einen Zeitsprung zu machen, die Figuren aber danach so zu führen, als sei überhaupt keine Zeit vergangen, manchmal gar, als habe zwischen dem letzten Dialog VOR dem Sprung und dem ersten Dialog NACH dem Sprung nicht ein einziges Gespräch stattgefunden. Diskussionen werden einfach weitergeführt, sich entwickelnde Beziehungen haben mal eben eine Pause eingelegt und Figuren, die sich vorhin noch zu Gegnern entwickelten, waren offenbar zwei Wochen lang höflich und nett zueinander, um ihren Zwist erst jetzt, mit der Fortführung der äußeren Handlung, wieder aufzunehmen.

11. Juli 2003
Seit meiner Arbeit am MAGNUS-Exposé weiß ich, dass die Helden an einer Stelle des Romans auf eine Figur stoßen werden, die ihr gesamtes Tun in Frage stellen wird – dies ist nötig aus dramaturgischen Gründen, aber auch, weil es durchaus seine Berechtigung hat, das Ziel der Protagonisten zu hinterfragen. (Vergleichbar – um wieder mal auf den „Herrn der Ringe“ zurückzugreifen – mit Saruman, der Gandalfs Wunsch, den Ring zu zerstören, durchaus zu Recht in Frage stellt.)
Heute, nach weit über 400 Seiten, kam ich nun beim Schreiben an eben diese Stelle. Von Anfang an hat mir in diesem Zusammenhang eines Sorge gemacht: Mit welchen KONKRETEN Argumenten würde die Person das Ziel der Helden zurückweisen? Und ich schwöre, bis heute morgen hatte ich keine Ahnung. Dann schrieb ich die ersten Seiten, den Auftritt der Figur – nichts, noch immer keine zündende Idee. (Was bei mir dazu führt, dass ich mit einem Mal endlos langsam werde und überall sonst auf der Welt sein möchte, nur nicht vor meiner Tastatur.) Schließlich tat ich das, was ich in solchen Fällen immer tue – ich schrieb einfach drauflos. Der Dialog zwischen der Person und den Helden begann – und entwickelte sich plötzlich ganz von selbst!
Ich wusste nicht, was die Figur sagen würde, BIS sie es sagte.
Und nun, elf Seiten später, steht die komplette Argumentation vor mir – und sie ist absolut zutreffend. Es war, als würde die Person ihre Gründe nicht nur den Figuren im Buch, sondern auch mir darlegen: „Sie her, du hast mich erfunden, und jetzt sage ich dir, warum.“ Und das ist wirklich ein ganz und gar faszinierendes Gefühl.

14. Juli 2003
Mal wieder eine Passage aus der Sicht eines der Schurken geschrieben – obwohl er sich derzeit nicht allzu schurkisch fühlen dürfte. Eigentlich sind es im Augenblick die Protagonisten, die (moralisch nicht ganz einwandfrei) IHM böse mitspielen. Der Arme.

15. Juli 2003
Glückwunsch an alle, die sich vor Schlangen ekeln. MAGNUS ist seit heute offiziell genau das richtige Buch für euch!

16. Juli 2003
Einen der zentralen Orte von MAGNUS habe ich heute zum ersten Mal beschrieben. Eigentlich DEN zentralen Ort (und vermutlich wird sein Name auch der endgültige Titel des Romans). Aber existiert dieser Ort tatsächlich? Hat die Person ihn wirklich gesehen? Warum verändert er sich dann ständig um sie herum?

22. Juli 2003
Manchmal müssen sich Figurenkonstellationen von selbst entwickeln. Mir war – trotz einer gewissen Festlegung im Exposé – anfangs nicht ganz klar, wie ich die Protagonistin des zweiten Erzählstrangs und ihren Gegenspieler zusammenbringe bzw. aufeinander hetze. Das haben die Beiden jetzt von selbst erledigt. Der genaue Vorgang lässt sich schlecht beschreiben, weil er mit dem Eigenleben der Figuren zu tun hat. Im Grunde funktioniert es so: Man manövriert einen Charakter in eine Lage, aus der es nur einen oder wenige Auswege gibt (emotional oder auch physisch), bringt dann den zweiten Charakter dazu und verlegt sich anschließend aufs Beobachten. Was sagt A zu B? Wie reagiert B darauf? Kommen dadurch frühere Konflikte zwischen ihnen erneut (oder zum ersten Mal) hoch? Ändert sich einer von ihnen durch die Lage, in der sie sich befinden? Oder beide? Und zuletzt hofft man, dass das Endergebnis für den Leser so spannend ist wie für den Autor.

24. Juli 2003
Die erste Liebesszene! Kein Sex, nicht einmal ein echter Kuss – und doch tut sich etwas zwischen zwei Charakteren. (Und wenn ich etwas kleinlaut hinzufüge, dass wir uns gerade auf Seite 490 befinden, bekommt meine Lektorin vermutlich Herzrasen: „Soooo spät?“)

25. Juli 2003
Seite 500! MAGNUS ist nun umfangreicher als LORELEY, DER SCHATTENESSER und DAS HAUS DES DAEDALUS – und noch immer ist lange, lange kein Ende in Sicht.

Gestern habe ich erwähnt, ich hätte gerade die erste zaghafte Liebesszene des Romans geschrieben. Später fiel mir ein, dass dies nur teilweise stimmt: Tatsächlich handelt es sich um die erste Liebesszene des ersten (und Haupt-) Erzählstrangs. Im zweiten allerdings gab es bereits lange vorher eine – logisch, denn auf ihr BASIERT der gesamte zweite Strang.

29. Juli 2003
Ich bin jetzt in der Geschichte von MAGNUS an einem Punkt angelangt, der es mir erlaubt, ein paar Zeitsprünge vorzunehmen. Nach über 500 Seiten mehr oder minder dichter zeitlicher Abfolgen tut es gut, Tage, sogar ganze Wochen einfach nur zusammenzufassen; bestimmte Entwicklungen zu behaupten, ohne sie im Detail zu schildern; und dabei zugleich einen allmählichen Ortswechsel einzuleiten, auf den ich mich seit der Arbeit am Exposé gefreut habe.

4. August 2003
Wie in den Jugendbüchern, aber im Gegensatz zu fast all meinen „Erwachsenenbüchern“ benutze ich in MAGNUS Kapitelüberschriften. (Die einzige Ausnahme dürfte DAS HAUS DES DAEDALUS sein.) Da die Kapitel im Durchschnitt zwischen 15 und 30 Seiten haben, gibt es mittlerweile eine ganze Menge solcher Überschriften im Buch, heute brandaktuell „Das Dorf der Nasenlosen“ (in der Tat mit „s“, nicht mit „m“). Das mag spaßig klingen, ist es aber in Wahrheit überhaupt nicht. Zumal dahinter historische Fakten stecken.

6. August 2003
Heute die erste richtige „Ritterszene“ des Romans geschrieben – wie sich das ja irgendwie für einen Mittelalterroman gehört. Ritter kommen zwar auch schon früher darin vor, aber eher … nun, eben anders. Die Szene heute dagegen hat Spaß gemacht, weil sie eben so klassisch war. Eigentlich müsste beim Lesen „O fortuna“ aus dem Einband dröhnen.

26. August 2003
Gestern war nach fast zwei Wochen der erste Tag, an dem ich wieder ernsthaft an MAGNUS gearbeitet habe. Und kaum etwas fällt mir so schwer wie die Überwindung zum Schreiben nach einer solchen Unterbrechung. Man sollte meinen, dass man es als Schriftsteller gar nicht erwarten kann, sich endlich wieder in die Geschichte zu versetzen, die einen nun schon seit Monaten beschäftigt. Von wegen. Sicher, eine gewisse Vorfreude war da, zumal ich absichtlich an einer recht spannenden Stelle abgebrochen hatte, mitten in einer Szene, in der es den Protagonisten gerade ans Leben geht. Andere Autoren bevorzugen es, vor einer längeren Pause ein Kapitel oder eine Szene zu Ende zu schreiben. Mir geht es genau umgekehrt: Je abrupter der Abbruch, desto leichter fällt es mir, wieder in die Figuren und den Plot hinein zu finden. Gestern hatte ich zudem den Vorteil, dass ich in eine pure Aktion springen konnte, nahezu ohne Dialog. So konnte ich mich quasi beim Schreiben wieder an die einzelnen Charaktere gewöhnen, ohne gleich von der ersten (Dialog-)Zeile an wissen zu müssen, welche innere Motivation diese oder jene Figur zu gerade diesem Zeitpunkt antreibt. Eine zünftige Actionszene macht das einfacher: Die Figuren handeln mehr oder minder aus äußeren Zwängen heraus, es bleibt wenig Zeit, um Motive zu überdenken. Als ich dann heute, am zweiten Tag nach der Pause, einen ruhigeren Moment zwischen zwei Personen schreiben musste, fiel mir das leicht, weil ich gestern bereits alle von neuem kennen gelernt hatte.

28. August 2003
600 Seiten! Damit ist MAGNUS ab sofort mein umfangreichstes Buch, ein paar Seiten dicker als DIE ALCHIMISTIN und DAS ZWEITE GESICHT. Und – muss ich´s schon wieder erwähnen? – noch immer ist kein Finale in Aussicht.

29. August 2003
Während ich heute eine Szene schrieb, die eine gewisse innere Spannung und Emotionalität besitzt, fiel mir irgendwann auf, dass ich mehrfach am Ende einzelner Sätze aufstand und kurzfristig irgendetwas Anderes tat – den Kühlschrank durchwühlen, neues Wasser holen, Tee kochen usw. Dabei sollte einen Autor doch gerade eine besonders interessante Szene – noch dazu eine von denen, die sich ab einem gewissen Punkt fast von selbst schreiben -, dazu bringen, noch intensiver als sonst in der Geschichte zu versinken.
Theoretisch würde ich Letzteres bejahen. Praktisch schaut es – siehe oben – bei mir ganz anders aus. Gerade bei Szenen, die ein gewisses Tempo haben und eine große innere Kausalität besitzen (d.h. eine Handlung folgt zwangsläufig auf die andere; als Autor muss man sich über den nächsten Moment keine Sorgen machen, da er sich von selbst ergibt) … gerade also bei diesen Szenen unterbreche ich laufend meine Arbeit, tue irgendwas Unnützes oder beschäftige mich sonst wie anderweitig. Solche Pausen sind selten länger als zwei, drei Minuten, aber – wenn ich sie von außen betrachte (was wiederum einer der wunderbaren Nebeneffekte dieses Journals ist) – trotzdem verwunderlich. Und frage mich nur keiner nach einer Erklärung.

8. September 2003
Nach einer Woche Auseinandersetzung mit den MUSCHELMAGIER-Fahnen fiel mir das Zurückfinden in MAGNUS erwartungsgemäß schwer. Heute Vormittag habe ich drei Anläufe gebraucht, um mich überhaupt aufzuraffen. Etwas Brauchbares hab ich dann eigentlich erst nachmittags geschrieben; sonst bin ich um diese Uhrzeit meist schon fertig. Dass ich zwischen den Fahnen und meinem Urlaub gleichfalls nur ein paar Tage an dem Buch gearbeitet hatte, macht das Ganze auch nicht einfacher. Ich muss jetzt dringend eine Weile am Stück an MAGNUS schreiben, um wieder in die Gänge zu kommen. In solchen Fällen neigen meine Protagonisten dazu, sich auf der Stelle zu bewegen und zu reden, ohne die Handlung wirklich voran zu bringen, und im Nachhinein ist es immer ein ziemliches Gefriemel, solche Passagen zu beschleunigen. Meist mache ich das schon am nächsten Tag, bei der Korrektur der Vortags-Seiten. Was dann gleich wieder ewig viel Zeit in Anspruch nimmt und den Beginn des eigentlichen Schreibens verzögert – quasi eine Art Kettenreaktion, denn das führt gleich wieder zu Lustlosigkeit, flauen Szenen, Mehrarbeit am nächsten Tag, Lustlosigkeit usw.
Mit anderen Worten: Auch für einen Schriftsteller ist es keineswegs jeden Tag die größte aller Freuden, sich vor den leeren Monitor zu setzen.

9. September 2003
Wie´s halt so ist: Die Seiten, über die ich gestern fast graue Haare bekommen habe, waren einen Tag später betrachtet weit besser als befürchtet. So gut wie keine Korrekturen. Das ist keine ganz neue Erfahrung, wahrscheinlich hab ich´s schon einmal erwähnt: Nicht selten sind Szenen, vor denen es mir beim Schreiben graust, mit Abstand betrachtet viel besser. Umgekehrt gilt das gleiche. Das man als Autor nicht objektiv sein kann, ist logisch – das einem manchmal aber jegliche Urteilskraft über die eigene Arbeit abgeht, kann einen ziemlich irritieren. (Wäre das wenigstens eine Gesetzmäßigkeit, könnte ich ja gut damit leben; aber verlassen kann man sich leider auch nicht darauf.)

10. September 2003
Die Arbeit an MAGNUS läuft nach dem Aussetzer vom Montag jetzt wieder gewohnt flüssig. Derzeit befinden sich die Helden gerade im Höhepunkt des dritten Teils (der ein wenig länger wird als die ersten beiden). Alles in allem tippe ich jetzt auf eine Gesamtlänge irgendwo zwischen 900 und 1000 Manuskriptseiten.

12. September 2003
Der dritte Teil von MAGNUS ist jetzt abgeschlossen, nächste Woche folgt der vierte (und letzte). Das Schöne daran ist, dass damit auch der bislang radikalste Ortswechsel innerhalb des Romans einher geht. Durch einen Kniff, den ich mir in diesem Stadium der Handlung leisten darf, vollziehe ich einen ziemlichen Sprung und raffe einige Wochen zu ein paar Seiten zusammen. Bislang habe ich den Verlauf der Reise der Protagonisten einigermaßen lückenlos durcherzählt, weil die Entwicklung der Figuren zueinander noch nicht abgeschlossen war. Ich habe ja schon einmal erwähnt, dass mich bei Reisegeschichten (und stereotypen Fantasy-Questen) meist die Tatsache stört, dass Charaktere sich zu Anfang treffen, dann ein Zeitsprung folgt, und sie sich drei Wochen später immer noch so benehmen wie bei ihrer ersten Begegnung. Mittlerweile haben sich meine Helden in MAGNUS aber aneinander gewöhnt und sind so weit gereift, dass ein Sprung funktionieren sollte.

Für die nächste Etappe der Handlung muss ich noch ein wenig recherchieren, d.h. eine Reihe historischer Fakten in diversen Büchern nachlesen. Ich hoffe, dass ich das am Wochenende schaffe. Ansonsten werde ich wohl erst wieder am Dienstag zum Schreiben kommen.

15. September 2003
Weil ich – fast wie erwartet – natürlich am Wochenende kein einziges Wort in irgendwelchen Sachbüchern gelesen habe (sondern, ähm, lieber auf meiner neuen X-Box „Knights of the Old Republic“ gespielt habe), blieb mir nichts anderes übrig, als dies heute nachzuholen. Entsprechend habe ich den ganzen Tag die Nase in allerlei Bände über den Islam und historische arabische Architektur gesteckt. Am interessantesten, aber auch am schwierigsten war die englische Übersetzung eines alten Textes über das mittelalterliche Bagdad, der sich streckenweise las wie eine Sammlung der einführenden Sätze einer beliebigen Geschichte aus Tausendundeiner Nacht (Anrufungen, Listen von Namen usw.). Schließlich habe ich unter einem Stapel von rund zwanzig anderen Büchern, „Geo“- und „National Geographic“-Heften auch noch den seltenen Irak-Bildband gefunden, den ich mir vor Monaten antiquarisch besorgt hatte. Im Großen und Ganzen bin ich nun jedenfalls für die Kapitel der nächsten Wochen gerüstet.

17. September 2003
Ich kenne keinen Autor, der seine eigenen Bücher wie ein Leser konsumieren kann. An allen Ecken und Enden hört man das Knirschen der Bühnenbretter, sieht die verlaufene Schminke der Akteure und – ganz besonders – weiß um die Balken, die auf der Rückseite die Kulissen stützten. Fast buchstäblich. Denn Schauplätze zu entwerfen, die in sich glaubwürdig sind und das Gefühl vermitteln, dass es auch noch eine Welt darüber hinaus gibt, ist eine der schwierigsten (und vom Leser oft unterschätzten) Aufgaben, denen man sich als Autor stellen muss.
Es ist kein großes Geheimnis mehr, dass ein Teil von MAGNUS im mittelalterlichen Bagdad spielt – das habe ich bereits einige Male angedeutet. Heute also habe ich zehn Seiten geschrieben, die weitestgehend aus Beschreibungen der Stadt bestehen: Ankunft, die ersten Eindrücke, Geräusche, Gerüche, Gesichter. Dabei hatte ich – womöglich auch durch die aufgefrischte Recherche der vergangenen beiden Tage – stets das Gefühl, das ECHTE Bagdad jener Zeit zu beschreiben (auch wenn es nur meine Interpretation der bekannten Fakten ist, versetzt mit ein wenig Erfundenem). Ich wusste, was abseits der Wege liegt, ohne ein einziges Wort darüber zu schreiben; ich kannte die Stadt aus der Luft und aus der Gosse; ich wusste, wie die Menschenmassen auf den Straßen aussehen (nicht immer im Detail, aber als Gesamteindruck, quasi aus dem Augenwinkel); und ich konnte die Atmosphäre dieses Ortes spüren, gut genug, um für ein paar Stunden darin abzutauchen. Das all dies dennoch mit dem Einsatz „trockener“ Technik verbunden ist, hat diesmal den Eindruck nicht geschmälert: Natürlich muss ich abwägen, wie lang ein beschreibender Absatz ist, ehe ich das Ganze mit einer Handlung der Hauptfigur zwischenschneide, um den Kontakt zu ihr nicht zu verlieren (der Leser muss jederzeit wissen, wo sich die Figur gerade befindet, selbst in den ausladensten Beschreibungen!). Und natürlich gilt es auch dann, wenn man gerade mal wirklich „anderswo“ ist, auf Dinge wie Sprache, Stil und Tempo zu achten.
Das also ist der Idealfall.
Aber so ist es leider nicht immer. Oft genug komme ich an Szenen, deren Inhalt ich ganz genau kenne, und die doch auch vom Schauplatz her funktionieren müssen. Und nicht immer bietet sich ein Ort an, der optisch oder atmosphärisch viel hermacht. Wenn Charaktere tagelang durch Wälder wandern, dann spielen die meisten Dialoge zwangsläufig, nun ja, im Wald. Dann ist es leicht, nach einer Weile und diversen Waldbeschreibungen, als Autor den Bezug zur Kulisse zu verlieren. Sie wird dann genau das – nur Kulisse. Mit samt der Stützbalken, Farbkleckse und der zerknitterten Leinwand. Freilich ist es verlockend, dann einfach weiter zu schreiben (der nächste Ortswechsel kommt bestimmt – und hoffentlich bald!). Oder aber man lässt sich etwas einfallen. Irgend etwas, das den Hintergrund auflockert. Manchmal funktioniert das. Manchmal nicht. Und manchmal ist man einfach zu faul dazu (Wald ist Wald ist Wald ist …). Das sind – jedenfalls für mich – genau die Momente, in denen ich leicht Gefahr laufe, von meinem eigenen Buch gelangweilt zu werden. Und solche, gegen die ich mittlerweile sehr bewusst ankämpfe. Weil einem, ganz gleich, was man später beteuern mag, immer auch ein wenig der Leser im Nacken sitzt: Manche Dinge, an denen man selbst zweifelt, mögen beim Lesen trotzdem funktionieren; andere aber tun es ganz sicher nicht. Und wenn manche behaupten, flache Charaktere oder flache Dialoge machten ein Buch schlecht, dann behaupte ich: Flache Kulissen machen es noch viel schlechter. Wiederum fast buchstäblich.
Wenn ich später als Autor einen meiner eigenen Texte lese (was in der Regel nur auszugsweise passiert) und mich erneut in den Schauplatz versetzt fühle, ohne großes Wenn und Aber, dann weiß ich, dass ich meine Arbeit gut gemacht habe. Wenn nicht – nun, dann mag es für den Leser trotzdem stimmen, weil er immer auch seine eigene Phantasie hinzufügt und dadurch (wie im Theater) selbst stilisierte Kulissen zum Leben erwecken kann. Aber wer sich als Autor darauf verlässt, macht es sich zu einfach. Sicher, immun ist keiner von uns dagegen. Nachlässigkeit kennen wir alle hier oder da. Und doch, noch mal: Lieber ein flacher Charaktermoment, als ein flacher Wald. Und ein Hoch auf Bagdad, denn da kann man wahrlich wenig falsch machen.

19. September 2003
Eines der typischen Missverständnisse von Erstlingsautoren ist die Einstellung, Lektorate hätten „ja keine Ahnung“. Von allem. Sie kritzeln im Text herum, kürzen die wundervollste Prosa, mäkeln am Plot und erfinden absurde Titel. (Diese Meinung scheint übrigens auch bei Einigen vorzuherrschen, die mir dann und wann E-Mails schreiben und fragen, wie man denn den Leuten im Verlag klarmachen könne, dass sie einen großen Fehler machen, wenn sie gerade dieses Manuskript nicht veröffentlichen …)
In 99 Prozent der Fälle ist das natürlich ausgemachter Blödsinn. Seid freundlich zu euren Lektoren und, vor allem, vertraut ihnen dann und wann. Auch wenn es ausgerechnet mal wieder DIESER Satz ist, der ihnen nicht gefällt, oder JENE Figur.

Die letzten paar MAGNUS-Zeilen, die ich heute geschrieben habe, waren der Anfang eines Kapitels, das vorgeblich aus der Feder eines der Protagonisten stammt. Aber wie schreibt man einen Bericht, den jemand auf dem Wissens- und Wortstand des Hochmittelalters verfasst haben soll? Umberto Eco hat dieses Problem natürlich ganz wunderbar auf den ersten Seiten seines „Baudolino“ gelöst, aber das dürfte für MAGNUS nicht ganz passend sein. Es wird wohl auf eine Mischform hinauslaufen. Oder doch auf „moderne“ Schreibweise. Mal sehen, wie sich die Zeilen von vorhin am Montagmorgen lesen …

22. September 2003
Am Freitag habe ich erwähnt, dass ich heute eine Szene schreiben würde, die – erstmals nach fast 700 Seiten – aus der ersten Person eines der Protagonisten erzählt wird. Nach einigem Hin und Her habe ich alle komplizierteren Möglichkeiten verworfen, bin mit einem ganz kurzen Absatz voller „izt“ und „daz“ eingestiegen und dann gleich in einen modernen, aber historisierenden Stil umgeschwenkt. Mit dem Ergebnis, dass die heutigen Seiten so klingen, als habe der gute Christof Wagner aus der FAUSTUS-Trilogie mal kurz vorbeigeschaut und sich für mich ans Laptop gesetzt.

23. September 2003
700 Seiten! Bin ich jetzt einer von diesen Autoren, die nicht wissen, wann sie aufhören müssen? 700 Seiten – das ist eine ziemliche Menge. Wahrscheinlich würde ich Szenen raffen, wenn es möglich wäre. Geht aber nicht. Das Finale ist vollständig durchgeplant. Abkürzungen gibt´s nicht. Damit entzieht sich der Plot im Grunde genommen mittlerweile meiner Kontrolle – auf all die folgenden Szenen habe ich hunderte Seiten lang hingearbeitet. Erst jetzt fügen sich die Fäden ganz allmählich zusammen, unter einer Menge Lärm und Feuerzauber. Eigentlich müsste mich das erleichtern. Aber im Augenblick sehe ich vor allem, wie anstrengend der Endspurt wird. Ende Dezember ist mein Abgabetermin. Mindestens einen Monat brauche ich für die Überarbeitung der Endfassung. Das heißt, ich sollte Ende November die letzte Seite schreiben. Noch zwei Monate (in der Zeit habe ich früher ganze Hardcover geschrieben). Und weil gerade „24“ im Fernsehen lief, habe ich noch immer dieses Herzschlag-Piepsen im Ohr. Die berühmte tickende Uhr. Auf geht´s.

26. September 2003
Der neue Schauplatz tut sicher dem Buch, vor allem aber mir gut. Nach so vielen Seiten und Kapiteln ist es spannend, ein komplett anderes Umfeld zu beschreiben, neue Figuren einzuführen und alte Konflikte, die bislang nur angerissen wurden, endlich vollständig zu enthüllen. Mit einem Mal bekommt die Geschichte eine zusätzliche Dimension, die man bisher – glaube ich – höchstens erahnen konnte. Zudem macht es Spaß, einen neuen Charakter im einen Kapitel (in dem nur von ihm erzählt wird) durch und durch finster darzustellen, um ihm dann in der darauf folgenden Szene einen ganz gegensätzlichen ersten Auftritt zu verschaffen.
Es geht also voran und die Plotkurve steigt ganz, ganz allmählich Richtung Showdown (dem ersten, denn es gibt zwei davon).

6. Oktober 2003
Seit heute ist MAGNUS zu umfangreich für eine Sicherungsdiskette, so dass ich das Ganze nun notgedrungen in zwei Dateien spalten musste. Immerhin hat das den Vorteil, dass ich nun nicht jeden Morgen zum hundertsten Mal über die Anfangsseiten des Romans lese, sondern zur Abwechslung über die ersten Seiten des zweiten Teils.

7. Oktober 2003
Wieder mal eine dieser Situationen, die ich mag: Eigentlich sollte die Figur, die heute in MAGNUS aufgetaucht ist, gar nicht wirklich in Erscheinung treten, sondern nur beiläufig erwähnt werden. Dann aber, drei Zeilen weiter, fand ich sie interessant genug, um mir zu überlegen: „Was, wenn sie doch auftritt? Genau JETZT?“ Und das tat sie dann auch, hat im Handstreich eine geplante Action-Szene in etwas Ruhigeres, weniger Vorhersehbares verwandelt und zudem innerhalb von fünf, sechs Seiten ein ganz großes Plot-Problem gelöst, das sich mir spätestens morgen gestellt hätte. Konkret konnte ich durch sie die erste Schnittstelle der oft erwähnten zwei Handlungsstränge logisch und sinnvoll gestalten, ohne den Zufall zur Hilfe zu nehmen. Vielleicht können nur Autoren nachempfinden, das so was ein echtes Erfolgserlebnis ist (gerade, wenn es so unverhofft auftritt) und einen den Rest des Tages mit einem Lächeln durch die Lande laufen lässt.

9. Oktober 2003
Meine Exposés werden oft gegen Ende immer vager. Die Grundrichtung des Plots ist da, aber die Handlung ist nicht mehr so klar in Szenen aufgesplittet, es gibt kleinere Sprünge oder es werden Monate im Voraus Handlungen festgelegt, ohne dass die Motivation dafür vollständig durchdacht ist. Wenn ich beim Schreiben an diese Stelle im Exposé komme, versuche ich meist – obwohl ich es eigentlich aus Erfahrung besser weiß – ein paar Tage lang mit diesem rudimentären Plot-Gerippe klarzukommen, ehe ich merke, dass ich mich morgens immer stärker dazu zwingen muss, mit der Arbeit zu beginnen. Ich HASSE Schreiben ohne Exposé!
Und weil es seit ein paar Tagen mal wieder soweit ist und ich seitdem schon beim Gedanken an das Buch Bauchschmerzen bekommen habe, war heute mal wieder der Tag X, an dem ich mich endlich aufgerafft habe und ein neues, sehr ausführliches Exposé nur für den Rest des Buches – also im Großen und Ganzen für Showdown #1 und #2 – entworfen habe. Genauso habe ich das auch bei vielen meiner anderen Bücher gemacht, vor allem aber bei den letzten wie DIE WASSERWEBER, DAS ZWEITE GESICHT und DIE UNSTERBLICHE.
Und auch diesmal hat die Mühe Wunder gewirkt: Jetzt, da die Handlung Szene für Szene bis zur letzten Seite steht, verschwinden die Bauchschmerzen allmählich und ich freue mich wieder aufs Weiterschreiben (wenn auch erst am Montag, wegen meines morgigen Ausflugs zur Buchmesse).
Ach ja, und ich bin jetzt sicher, dass das Manuskript über 1000 Seiten haben wird – ungefähr so viele wie die komplette Merle-Trilogie.

13. Oktober 2003
800 Seiten! Das Tempo zieht an. Die Szenen werden kürzer (aber noch nicht ganz kurz). Blut fließt. Alte Feinde treffen aufeinander. Aber das Ende? Dauert noch ein Weilchen …

15. Oktober 2003
Die Arbeit mit dem neuen Exposé (siehe unten) bewährt sich. Ich schreibe mit frischem Elan, die Szenen fließen im Großen und Ganzen völlig problemlos. Im Nachhinein denke ich, dass ich mir die Mühe eines neuen Szenenabrisses schon vor zwei, drei Wochen hätte machen sollen. Zwar standen da die entsprechenden Kapitel noch gar nicht an, aber allein die Aussicht, bald auf nur halbherzig vorausgeplante Passagen zu stoßen, setzt bei mir oft die Hemmschwelle herauf, mich morgens endlich hinzusetzen und loszuschreiben. Das ist eine Sache zwischen den Ohren, fürchte ich. Immerhin: Bei anderen Autoren wird aus so was die berüchtigte Schreibblockade, bei mir nur ein gedachter Tritt ins Hinterteil. Sich aufzuraffen ist oft schon die halbe Leistung. Der Rest – das Schreiben, das Phantasieren, das Herumträumen – kommt dann von selbst.

27. Oktober 2003
Nach einer Woche Lesereise in einen Roman wieder hineinzukommen ist nicht ganz einfach. Wie üblich lese ich als erstes die letzten zehn Seiten Korrektur. Heute lief das ungefähr so:
Drei Seiten gelesen. Das Telefon klingelt. Längeres Gespräch. Fünf Seiten gelesen. Erstmal im Haus herumgesucht, was man denn so essen könnte (Hauptsache, nicht mit dem Buch beschäftigen). Dann irgendwo angerufen, weil es mir plötzlich ganz wichtig erschien. Mehr Seiten Korrektur gelesen. Mehr gegessen. Angefangen zu schreiben (mittlerweile ist es Mittag). Noch mehr telefoniert. Noch mehr gegessen. Dies und das gemacht. E-Mails beantwortet. Noch ein bisschen geschrieben. Gegessen. Und dann, hurra, endlich sechs Seiten am Stück ganz schnell herunter geschrieben.
Kann ich nun ehrlich sagen, dass das Schreiben an solchen Tagen Spaß macht? Von wegen! Das sind genau die Tage, durch die man einfach durch muss. Und an denen man inständig hofft, dass morgen alles besser wird. (Zum Glück sind jetzt zumindest all die lästigen Süßigkeiten vernichtet.)

28. Oktober 2003
Nun denn – heute lief es schon wieder sehr viel besser, flüssiger und konzentrierter. Und auch wenn ich damit vermutlich alle zu Tode langweile, muss ich doch mal wieder feststellen, dass der Eindruck beim Schreiben oft täuscht. Die Seiten von gestern waren jedenfalls, wie ich heute bei der Korrektur festgestellt habe, wirklich sehr ordentlich. Was einmal mehr beweist, dass das Befinden des Autors wenig über seine momentane Arbeit aussagt. Dafür ging´s mir heute gut, der Fresswahn hat ein Ende – und ich hoffe inständig, dass mich morgen beim Korrektur lesen keine umgekehrte Überraschung erwartet.

30. Oktober 2003
Manchmal, wenn das Tempo einer Geschichte anzieht, geht mir auch das Schreiben leichter und flüssiger von der Hand. Heute habe ich zehn Seiten, anderthalb wichtige und ziemlich dramatische Szenen, in gerade einmal drei Stunden geschrieben – schneller bin ich nur ganz, ganz selten. Ich bin immer noch bester Hoffnung, dass das Manuskript bis Ende November fertig ist, so dass ich den Dezember mit Korrekturen und deren Einarbeitung in den Text verbringen kann. Das wäre mir unter anderem auch wegen der Weihnachtsfeiertage ganz recht, an denen ich traditionell nicht arbeite – und wenn doch, dann eben am liebsten an Dingen, die ich mit vielen Unterbrechungen erledigen kann, ohne dass es sich auf die Qualität auswirkt: Das Eingeben von Änderungen, die ich zuvor handschriftlich auf einem Papierausdruck gemacht habe, ist dafür genau das Richtige.

4. November 2003
Nach beinahe 900 Manuskriptseiten die erste große Sterbeszene des Romans! Nicht annähernd so lang wie im GLÄSERNEN WORT, sicher auch nicht ganz so dramatisch – trotzdem schreibe ich so etwas recht gern. Allerdings sind es auch gerade die besonders emotionalen Szenen, an denen ich in der Korrektur am meisten ändere. Meist läuft es auf Kürzungen hinaus. Oft gerät mir die allererste Fassung ein wenig zu rührselig.

5. November 2003
900 Seiten! Mitten im Übergang zur letzten Etappe der Reise meiner Helden. Es geht ihnen nicht gut. Um ihre Mission steht es schlecht. Der letzte Satz, den ich vorhin getippt habe, lautet sinngemäß: „Von hier aus würden sie nirgends mehr hingehen.“

Als ich dem Manuskript hier im Journal den provisorischen Titel MAGNUS gegeben habe, bezog sich das allein auf den Namen eines der Protagonisten. Im Grunde war es eine Notlösung, weil der tatsächliche Arbeitstitel zu viel über den Inhalt preisgegeben hätte. Dass sich dieser Titel aber auch auf das Buch als solches beziehen ließe, daran habe ich nie gedacht – bis zur Buchmesse, als ich mit Hannes Riffel darüber sprach und er mich angrinste, während mir plötzlich klar wurde, dass irgendwer das als Ableitung von „Opus Magnus“ missverstehen könnte. Er jedenfalls hatte es offenbar nie ANDERS verstanden. Und, so fürchte ich, eine Menge andere Leser ebenfalls.
Nun, auch wenn es nicht so gedacht war – bestätigt hat es sich in gewisser Weise dennoch. Zweifellos, was den Umfang angeht. Mein dickstes Buch. An keinem anderen habe ich je länger gesessen (seit Februar, also seit dem ersten Eintrag hier im Journal). Und allmählich werde ich müde. Nicht lustlos. Nicht gelangweilt. Nur genauso erschöpft wie die Helden des Romans. Als würden die Strapazen, die sie Seite für Seite erdulden müssen, nun auch auf mich abfärben.
Dabei schreibe ich im Moment so zügig wie eh und je. Als hätte der Endspurt bereits begonnen. Und, in Anbetracht der Dimension des Romans, hat er das wohl auch. Noch zweihundert Seiten, vermute ich. Plus/minus hundert. Eher plus. Oder auch nicht.
Deshalb gönne ich mir heute einfach mal den Luxus, zumindest unter diesen Eintrag
E – N – D – E
zu schreiben. Ein Autorenplacebo.

7. November 2003
Für die Helden von MAGNUS hat nun die letzte Etappe ihres Abenteuers begonnen. Eine Schiffsreise, ein Ortswechsel – und nun sind sie an der Grenze jenes Ortes angekommen, der von Anfang an am Ende ihres Weges liegen sollte (dessen konkrete Lage sie aber bis vor kurzem nicht kannten).
Ich habe heute genau bis zum Punkt der Ankunft geschrieben, dann alles stehen und liegen gelassen und erst noch einmal die Materialien rausgekramt, die ich während der Recherche im Februar/März zusammengestellt und damals nur überflogen hatte. Eben dann noch mal mit Textmarker über die wichtigsten Passagen, und nun bleibt mir das Wochenende, um mir zu überlegen, ob ich vom Exposé abweiche oder ob alles so bleibt wie geplant. Nächste Woche beginnt dann die Arbeit am Showdown – und ob ihr´s glaubt oder nicht (und obwohl ich den Ausgang kenne), ich bin genauso gespannt wie hoffentlich all jene, die das Buch in rund elf Monaten lesen werden.

11. November 2003
Ganz, ganz allmählich läuft die Maschinerie im Hintergrund der Veröffentlichung von MAGNUS an – auch wenn noch zehn oder elf Monate vergehen werden, bis das Buch in den Läden steht. Meine Lektorin rief heute an und brauchte dringend allerlei Informationen für die Verlagsvertreter (das sind die freundlichen Damen und Herren, die von Buchhandlung zu Buchhandlung reisen und den Händlern möglichst große Mengen der jeweiligen Titel „ans Herz legen“). Also habe ich mal wieder für eine halbe Stunde die Arbeit am Buch selbst unterbrochen und versucht, mich an alles zu erinnern, das einem Vertreter klar machen könnte, dass gerade ich der Autor bin, der für ihn im nächsten Programm der aller-, allerwichtigste ist.

12. November 2003
Der MAGNUS-Showdown kommt ins Rollen, und zum ersten Mal passiert es mir bei diesem Buch, dass Szenen schneller ablaufen als geplant. Im Augenblick machen die Figuren mal wieder, was sie wollen. Ein Dialog, der heute zwischen ihnen stattgefunden hat, war nicht mal im Ansatz geplant – dabei rückt er einen der Charaktere in ein anderes Licht, was gerade an diesem Punkt der Handlung gut tut.

13. November 2003
MAGNUS hat mehrere Schlüsselszenen, und eine der wichtigsten habe ich heute geschrieben. Es ist kein Augenblick großer Aktionen, und er ist völlig konfliktfrei. Es gibt Emotion, aber kaum Pathos. Was geschieht, ist die stille Konsequenz von beinahe 1000 Romanseiten. Als ich dem Programmleiter des Lübbe-Verlages, Johannes Thiele, im März mein Exposé vorlegte, meinte er, dies sei für ihn der schönste Moment der ganzen Geschichte.

18. November 2003
Im Augenblick kämpfe ich immer noch derart mit dem Showdown, dass ich mich zwingen muss, abseits davon noch irgend etwas in den Computer zu tippen. Fest steht, es wird ein eher ruhiges Finale, was ein netter Kontrast zu dem Feuerzauber in DIE WASSERWEBER ist.

So wie es aussieht, werde ich nach Abgabe des MAGNUS-Manuskripts ein paar Wochen Pause einlegen. Ich habe mal nachgerechnet – des letzte Mal, dass ich ganze zwei Wochen am Stück NICHT gearbeitet habe, ist fünf Jahre her. Seitdem waren es ab und an mal fünf, sechs Tage hintereinander, aber nie öfter als ein-, zweimal im Jahr. Und da mir nun sogar schon mein Agent einredet, ich sollte mich mal erholen – am besten ein paar Monate lang -, werde ich wohl besser auf ihn hören.

20. November 2003
Szenen, in denen es letztlich darum geht, Spannung und Tempo aufzubauen, lassen sich in der Regel gut aus verschiedenen Perspektiven erzählen. Das heißt, eine Handlung wird in die Blickwinkel mehrerer Personen aufgesplittet. Allerdings sollten die Charaktere das Geschehen dann auch von deutlich unterscheidbaren Positionen aus erleben oder – besser noch – nacheinander aktiv werden. In MAGNUS versuche ich gerade, diese Technik so gut es geht im Finale anzuwenden – obgleich es sich dort nur eingeschränkt anbietet. Aber auch hier tut es dem Showdown gut, ihn in kleinen Häppchen zu servieren. Nachdem der Roman insgesamt sehr viel stringenter abläuft als die meisten meiner anderen Bücher, ist das, auch beim Schreiben, eine angenehme Abwechslung.

21. November 2003
Hochdramatisch geht es gerade in MAGNUS zu. Wir befinden uns auf den letzten dreißig, vierzig Seiten, und es wird gestorben, gelitten und einander gerettet. Das sind Szenen, die sich weitestgehend von selbst schreiben – was manchmal den Nachteil hat, dass sie stilistisch ein wenig mehr Nachbearbeitung brauchen als andere, einfach weil ich beim Schreiben so in den Figuren stecke, dass ich manchmal einfach weitermache, auch wenn ein Satz noch nicht ganz perfekt ist. So etwas bügle ich am nächsten Tag aus, wenn ich morgens wieder ein wenig objektiver an die Sache heran gehen kann. Meist streiche ich dann auch ein paar allzu pathetische Stellen (und ergänze dafür ein paar andere).

24. November 2003
1000 Seiten! Die vorletzte Szene des Showdowns.
Das Ende eines Romans zieht meist in einer seltsamen Mischung aus Rausch und Erschöpfung an mir vorüber. Spätestens hier ist es vorbei mit aller Sachlichkeit. Viele meiner Charaktere tendieren dazu, die letzten Szenen selbst durch eine Art Schleier zu erleben. Ihre Wahrnehmung bekommt etwas Träumerisches, Verschwommenes. Die Umgebung wird zu einem Wirbel, ein Sog aus Farben und Personen und Ereignissen. Niemals überlappen sich in meinen Büchern die Ebenen der Fiktion und der Realität deutlicher als während des Finales. Vieles, das geschieht, ist vorherbestimmt – und so erleben es auch die Figuren des Romans. Sie tun, was getan werden muss. Weil es das Schicksal so will, weil ihnen keine Alternative mehr bleibt.
Einige bleiben am Leben.

25. November 2003
Während ich mich nach wie vor mit den beiden letzten Kapiteln herumschlage, läuft bereits die Diskussion über den endgültigen Titel des Romans („Magnus“ ist, wie früher bereits erwähnt, nur ein Arbeitstitel). Bevor sich die Grafiker an erste Entwürfe für das Cover machen, muss der Titel feststehen – und das muss bald sein. Daher gingen bereits seit einigen Tagen Titellisten hin und her, und wie es aussieht, haben wir jetzt eine Variante gefunden, die allen Beteiligten recht gut gefällt. Die Tatsache, dass der Roman als Spitzentitel in einem Mainstream-Hardcover-Programm präsentiert werden wird, ist in diesem Fall Segen und Fluch zugleich: Segen aus naheliegenden Gründen (höheres Werbebudget, Schwerpunkt in der Verlagsarbeit usw.), Fluch, weil der Titel nicht allzu abgedreht sein darf. Zwar ist immer auch das Ziel, ein neues Publikum zu erreichen, zugleich darf aber ein bestehendes (in diesem Fall jenes des Genres Historischer Roman) nicht vergrault werden. Und wenn man sich innerhalb dieser Grenzen umschaut, gibt es – rein titeltechnisch gesehen – eine ganze Menge Mittelmaß. Trotzdem denke ich, dass unser aller derzeitiger Favorit eine gute Sache ist – im Grunde ist es derselbe, der einmal auf meinem allerersten Kurzexposé stand, versehen mit einem Zusatz. Ziemlich monumental, und so muss er auch grafisch aufgelöst werden. Wir werden sehen.

26. November 2003
Ich stecke jetzt mitten im Epilog des Romans. Wenn nichts dazwischen kommt, sollte ich morgen fertig werden. (Ein Gedanke, der mir im Augenblick noch ziemlich irreal erscheint, so als würde mir jemand erklären, das Buch käme morgen schon auf den Markt.)
Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich das Nachwort gleich im Anschluss oder erst nach der Überarbeitung schreiben werde, tendiere aber zu letzterem. Früher habe ich mir meist schon während des Schreibens Notizen zu allen Punkten gemacht, die im Nachwort auftauchen sollten, und das Ganze gleich im Anschluss verarbeitet (meist gefolgt von ein paar Ergänzungen nach der Korrektur). Diesmal hab ich das nicht getan und muss erstmal beim Durchlesen herausfinden, was sich tatsächlich aufzugreifen lohnt und was nicht. Da ich das Nachwort stets so knapp wie möglich halte, werden wohl auch diesmal nur die wichtigsten Fakten darin auftauchen. Ich weiß, dass eine Menge Leute die Nachworte sehr mögen (es gab eine ganze Reihe Proteste, als DAS ZWEITE GESICHT ohne eines erschien); andererseits habe ich meist versucht, die Fakten nicht allzu sehr in den Vordergrund zu spielen, um die Illusion der Geschichte nicht zu zerstören. Ein paar Mal ist das meines Erachtens ganz ordentlich gelungen, einige Male (vor allem in meinen ersten Büchern) war´s manchmal ein wenig zuviel des Guten. Mittlerweile halte ich es meist so, dass ich zwar erwähne, wenn ich auf Tatsachen aufgebaut oder sie durch Fiktion erweitert habe, nicht aber, wenn etwas völlig erfunden oder verdreht wurde.

28. November 2003
MAGNUS ist fertig! Zumindest in der ersten Fassung. Gestern habe ich auf Seite 1019 „Ende“ geschrieben. Und weil ich es hier im Journal zwischendurch immer mal mit den Längen der übrigen Bücher verglichen habe, will ich das auch jetzt noch einmal tun und euch alle mit ein wenig Statistik quälen.
MAGNUS ist mein bislang umfangreichstes Einzelbuch. Der Roman ist dicker als die komplette Merle-Trilogie und nur ein wenig dünner als die gesamte Wellenläufer-Trilogie (die, wenn ich mich recht erinnere, knapp über 1100 Manuskriptseiten umfasst). Die komplette SIEBEN-SIEGEL-Reihe (10 Bände & Sonderband) dürfte rund 1200 Seiten gehabt haben. Meine umfangreichsten Einzelbücher bislang waren DIE ALCHIMISTIN und DAS ZWEITE GESICHT, beide mit je 600 Manuskriptseiten.

Nun sagt Volumen nichts über den Inhalt aus. Ich selbst habe ja oft genug erklärt, dass ich als Leser kein großer Freund dicker Bücher bin. Andererseits brauchen manche Stoffe eine gewisse Länge – und MAGNUS ist vom Konzept her ziemlich monumental. Dabei habe ich mich bemüht, dem wuchtigen Thema einen vergleichsweise ruhigen Handlungsablauf entgegen zu stellen. Ein Beispiel: Es gibt im hinteren Teil des Romans eine gewaltige Schlacht. Weil ich aber bereits in DIE WASSERWEBER (Band 3 der Wellenläufer-Trilogie) eine massive Schlacht über mehrere hundert Seiten beschrieben habe – zumal eine, die es in ähnlicher Form hoffentlich noch nicht gab -, dachte ich mir, gehe ich in MAGNUS anders an die Sache heran. Es gibt keine ellenlangen Beschreibungen von aufmarschierenden Armeen, kein ausuferndes Kampfgetümmel, keine streitenden Befehlshaber und was man sonst so aus den üblichen Szenarien kennt. Der große Krieg im letzten Drittel von MAGNUS wird streng aus der Sicht der Protagonisten beschrieben, und keiner von ihnen steht an vorderster Front. Dies ist nicht Helms Klamm. Für mich war das nicht nur eine willkommene Abwechslung nach der Arbeit an DIE WASSERWEBER, sondern auch der Versuch, an das Thema „Schlacht“ anders heranzugehen. Wir erleben das Ganze aus zwei Perspektiven: Die eine spielt im Flüchtlingschaos einer belagerten Stadt, die andere im – relativ sicheren – Herrscherpalast. Wichtig ist, dass vor diesem Hintergrund die eigentliche Handlung weitergeht, d.h. die Auswirkungen der Schlacht sind Kulisse, gehören aber nicht zum zentralen Plot.
Im Grunde bleibt MAGNUS auf über 1000 Seiten die Geschichte von fünf Personen und ihren Beziehungen zueinander, ganz gleich, wie exotisch oder spektakulär die Hintergründe sein mögen. Damit habe ich zugleich versucht, die Gefahr des Episodischen zu umgehen, das sich bei einer Reisegeschichte leicht einschleichen kann.

Nachdem ich gestern die abschließenden zwei Seiten geschrieben hatte, habe ich mir das letzte Kapitel und den Epilog ausgedruckt und beides den Rest des Tages mit einer gewissen Scheu vor mir hergetragen. Ich war nicht ganz sicher, ob mein Schluss die gewünschte Wirkung hat (wer ein paar meiner Romane kennt, weiß, dass ich gerne ruhige, melancholische Epiloge schreibe). Bis zum Abend habe ich mich nicht getraut, die ausgedruckten Seiten noch einmal zu lesen, aus Sorge, ich könnte sie grässlich finden. Als ich es dann schließlich doch getan habe, war ich selbst überrascht, wie sehr ich sie mochte. Erst zu diesem Zeitpunkt war für mich die Arbeit an der ersten Manuskriptfassung abgeschlossen.

Wenn ich sage „erste Fassung“ bedeutet das nicht, dass ich einer dieser Autoren bin, die ihre Manuskripte endlos um- und neu schreiben. Als nächsten folgt mein zweiter Korrekturdurchgang (der erste ist das tägliche Überarbeiten der jeweiligen Seiten vom Vortag). Bislang bin ich bei all meinen Büchern folgendermaßen vorgegangen: Ich habe das komplette Manuskript ausgedruckt, die Korrekturen auf Papier gemacht und das Ganze dann am PC eingearbeitet. Diesmal werde ich versuchen, davor noch einen weiteren Durchgang am Laptop zu machen. Konkret bedeutet das: Ab Montag lese und korrigiere ich den ganzen Roman noch einmal am Bildschirm, drucke ihn dann schließlich aus und gehe ihn auf Papier ein drittes Mal durch. Spätestens Ende Dezember, Anfang Januar muss ich das Buch abgegeben, so steht es im Vertrag, und ich vermute, dass ich diesmal ziemlich pünktlich sein werde (früher habe ich meist Wochen, sogar Monate vor dem vereinbarten Termin abgegeben).

2. Dezember 2003
Eine Planänderung: Statt das ganze Manuskript erst am Bildschirm einmal durchzulesen, mache ich die Korrektur nun doch sofort auf Papier (wie bei all meinen anderen Büchern). Als ich gestern versuchte, die ersten Seiten am Monitor zu redigieren, habe ich gemerkt, dass das wenig Zweck hat. Für den ersten Durchgang durch den kompletten Roman brauche ich das Gefühl, dass es sich um ein BUCH handelt – und das besteht nun mal aus Papier. Ebenso, wie es einen großen Unterschied macht, einen Text erstmals in den Druckfahnen (d.h. als gesetzten Text wie im fertigen Buch) zu lesen, entdecke ich auch auf einem gewöhnlichen Ausdruck viele Dinge, über die ich am Bildschirm mehrfach fröhlich hinweg gelesen habe.
Gestern habe ich also den ganzen Spaß ausgedruckt (und es ist eine Sache, die Seitenzahl 1000 am Schirm zu sehen, und eine ganz andere, einen Stapel aus 1000 Blatt Papier auf dem Tisch liegen zu haben … seufz!). Heute habe ich begonnen, das Ganze Wort für Wort durchzugehen, meist jeden Satz mehrfach – und wenn sich das schrecklich anhört, dann solltet ihr es erst einmal selbst ausprobieren. Auf der einen Seite gibt es nichts, das mich wahnsinniger macht – aber auf der anderen, ist es ungeheuer befriedigend zu erleben, wie sich die einzelnen Splitter zu einem kompletten Mosaik zusammenfügen.

4. Dezember 2003
Korrektur lesen ist keine allzu interessante Beschäftigung, daher gibt´s wenig Journal-taugliches zu berichten. Ich versuche derzeit, hundert Seiten am Tag zu redigieren, was das absolute Maximum für mich ist. Dafür brauche ich etwa sechs bis sieben Stunden, weil ich jeden Satz mehrfach lese, dann oft noch mal im Zusammenhang des gesamten Absatzes usw. Und danach wünsche ich mir meist nur noch, nie wieder im Leben Buchstaben sehen zu müssen – die sind dann nämlich so gut wie in die Netzhaut eingebrannt.

10. Dezember 2003
Ich habe jetzt ein wenig über die Hälfte von MAGNUS korrigiert, und stelle wieder einmal fest, dass Redigieren weit mehr schlaucht als Schreiben. Eine Geschichte niederzuschreiben läuft bei mir mehr oder minder von selbst ab – sich dann aber hinzusetzen und zu beurteilen, welcher Satz gelungen und welcher vielleicht weniger gut ist, ist eine Tortur. Vor allem ist es eine Frage der Konzentration und des Durchhaltevermögens. Ich sage mir ungefähr zwanzig Mal am Tag, heute tun es doch auch ein paar Seiten weniger, nur um mich dann zu zwingen, zumindest in die Nähe meines selbstgesteckten Ziels zu kommen. Zwischen 80 und 100 Seiten am Tag müssen einfach sein, wenn ich mit dem größten Teil vor Weihnachten fertig werden will. (Nicht zu vergessen, dass all diese Korrekturen zu guter Letzt noch am Computer eingearbeitet werden müssen.)

Jedenfalls habe ich jetzt einen recht guten Überblick über die erste Hälfte des Romans und werde ein ums andere Mal überrascht: Von Szenen, die ich schon wieder vergessen hatte; von Momenten, die ich ziemlich gelungen finde; manchmal auch von solchen, die ich besser in Erinnerung hatte und an denen gefeilt werden muss. Trotzdem habe ich jetzt das Gefühl, die Geschichte in ihrer Gesamtheit überschauen zu können, und das ist äußerst befriedigend. Vieles ist ruhiger, als ich dachte; anderes hat weit mehr Tempo. Und obwohl es insgesamt ziemlich genau das ist, was ich mir vorgenommen hatte, unterscheiden sich zahlreiche Details doch sehr von meiner ursprünglichen Planung und erfüllen das Ganze mit Leben.

15. Dezember 2003
800 Seiten MAGNUS sind korrigiert, zweihundert stehen noch aus. Und ich mag das Buch immer mehr, was für mich während der Korrektur-Phase eher ungewöhnlich ist. Normalerweise fallen mir dabei tausend Kleinigkeiten auf, die ich noch ändern könnte. Bei MAGNUS aber bleibt bislang alles mehr oder minder so, wie es geschrieben wurde – abgesehen von den üblichen stilistischen „Reparaturen“ und vielen, vielen Kürzungen. Jawohl, ich kürze so rigoros wie noch bei keinem Buch zuvor, und ich denke, auch das tut dem Roman gut.

18. Dezember 2003
MAGNUS ist jetzt korrigiert – zumindest auf dem Papier. Ab morgen erwartet mich die gnadenlos grässliche Arbeit, alle handschriftlichen Korrekturen in die Datei einzuarbeiten. Der Papierstapel liegt gerade neben mir und ist … Moment! … knapp 12 Zentimeter hoch.

23. Dezember 2003
Exakt die Hälfte meiner Korrekturen habe ich jetzt in die Textdatei eingearbeitet. Ich vermute, dass das endgültige Manuskript um die 900 Manuskriptseiten haben wird (runtergekürzt von knapp 1020).
An den Weihnachtstagen arbeite ich nie, nehme aber an, dass ich den Rest der Arbeit am MAGNUS-Manuskript bis Neujahr schaffe, so dass der Text wie geplant in den ersten Januartagen abgegeben werden kann. (Das Nachwort fehlt auch noch, fällt mir da ein.)

29. Dezember 2003
Mein vertraglicher Abgabetermin für MAGNUS ist der 31. Dezember – also übermorgen -, und wie es aussieht, werde ich punktgenau fertig. In Anbetracht der Tatsache, dass mir der Umfang des Buchs regelrecht unter den Händen explodiert ist, ist das ganz erstaunlich. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich einen Abgabetermin jemals überschritten hätte – meist war ich Wochen, sogar Monate vorher fertig. Aber auf den Tag genau – das ist neu. Zumal ich nicht exakt darauf hingearbeitet und keine „Nachtschichten“ oder Ähnliches eingelegt habe. Mit dem Roman selbst oder seiner Qualität hat das freilich nicht die Bohne zu tun, aber es ist ein kleines Kuriosum am Rande. (Und wer jetzt denkt, dass Abhandlungen über meine Terminplanung nicht unbedingt der Grund sind, aus dem er/sie dieses Journal liest … na gut, ich seh´s ein.)

30. Dezember 2003
Bin halb blind und leicht genervt – aber die Korrekturen sind jetzt alle in die Datei eingearbeitet. Ohne das Nachwort, das ich morgen noch schreibe, sind 930 Manuskriptseiten übrig geblieben. Das heißt, dass rund 90 Seiten meinen Kürzungen zum Opfer gefallen sind (übrigens weit mehr in der ersten Hälfte des Romans).
Zum guten Schluss habe ich gerade zum ersten Mal seit Jahren eine komplette Rechtschreibeprüfung über das Manuskript laufen lassen. Wie wahrscheinlich viele hier im Journal schon mitbekommen haben, schreibe ich ein fröhliches Gemisch aus neuer und alter Rechtschreibung – entsprechend lange ratterte gerade das Korrekturprogramm. In der alten Rechtschreibung war ich immer ziemlich fehlerfrei und habe mir aus purem Trotz bislang nie die Mühe gemacht, die neue zu lernen. Bei Heyne durfte man sich das als Autor noch aussuchen, aber Lübbe besteht auf den neuen Regeln. Gut, sollen sie haben. Und obwohl ich jede einzelne Änderung manuell bestätigt oder verneint habe, hab ich das ungute Gefühl, dass sich bei der ganzen Prozedur vermutlich ein paar groteske Ersatzbegriffe aus dem Wörterbuch des Programms eingeschlichen haben. „Ändern“ und „Ins Wörterbuch aufnehmen“ liegen für meinen Geschmack ein wenig zu nah beieinander; vor allem, wenn man gerade ein paar tausend Mal entscheiden musste, welche Taste man anklickt …

2. Januar 2004
MAGNUS ist fertig und abgeliefert. Am 31. Dezember habe ich das Manuskript per E-Mail an den Lübbe-Verlag und an meinen Agenten geschickt.
„Fertig“ ist allerdings relativ. In den kommenden Monaten wird es sicher noch die eine oder andere Diskussion mit dem Lektorat geben, Arbeit an Klappen- und Rückseitentexten, Gespräche über das Cover, dann schließlich das Korrekturlesen der Druckfahnen usw., usw. Kurzfristig wurde mir eine neue Lektorin zugeteilt, die nun das zweifelhafte Vergnügen hat, den Roman in relativ knapp bemessener Zeit zu bearbeiten; weil für Vertreter und Buchhändler Leseexemplare gedruckt werden sollen, muss die fertig redigierte Fassung früher als für einen Herbsttitel sonst üblich vorliegen. Einigen Leuten wird MAGNUS also noch allerlei Stress bereiten, fürchte ich.
Irgendwann in den kommenden Tagen werde ich mich hinsetzen und einen Journal-Beitrag schreiben über das, was ich mir im vergangenen Februar für das Buch vorgenommen hatte (was zum Teil auch hier zu lesen war), und was ich davon umgesetzt habe.

5. Februar 2004
Die erste Rückmeldung meiner Lübbe-Lektorin Anne Bubenzer auf MAGNUS war sehr positiv, und das, obwohl sie lustigerweise genau wie ich eigentlich keine dicken Bücher mag. Die Arme hat den ganzen Manuskriptberg schon einmal durch und macht sich jetzt an den zweiten (genaueren) Durchgang.
Fest steht, dass es für Buchhändler und Presse schon in ein paar Monaten ein Leseexemplar geben wird. Und gerüchteweise soll bei Erscheinen des Romans wohl auch gleich das Hörbuch auf den Markt kommen – allerdings fehlt mir dazu noch die letzte Bestätigung.
Mitte März bekomme ich die Fahnen und habe dann zwei bis drei Wochen Zeit zur Korrektur. Anfang April geht das Leseexemplar in den Druck, und wer von euch richtig gute Beziehungen zu Buchhändlern hat, kann vielleicht schon im Frühsommer einen Blick hineinwerfen. Blumen, hochwertige Pralinen und Geldgeschenke sollen da Wunder wirken.

13. Februar 2004
Im Forum hat Eva ein paar Fragen zu MAGNUS gestellt und gemeint, es seien zwar ziemlich viele, aber immerhin habe sie ja lange gar keine Fragen mehr gestellt. Und weil es meiner Meinung nach sehr gute und wohlüberlegte Fragen sind, werde ich sie gleich mal für die Allgemeinheit hier im Journal beantworten.

Eva: „Jetzt ist MAGNUS ja doch schon ein paar Tage alt (für Dich zumindest), und da würde mich interessieren was mit dieser Welt geschieht, die Du da gebaut hast?“

Ich: „Seltsamerweise wird die Welt für mich immer konkreter, je länger die Arbeit an dem jeweiligen Buch zurückliegt. Beim Schreiben geht es oft um sehr technische Dinge, z.B. „Wo lasse ich diesen oder jenen Dialog spielen, damit er in gewisser Weise auch optisch, und nicht nur inhaltlich interessant ist?“ oder „Wie baue ich diesen oder jenen Ort auf, damit für alle Szenen, die dort spielen, der entsprechende Raum vorhanden ist?“. Das ist vergleichbar mit einem Architekten, der ein Gebäude plant. Erst ist es nur ein Haufen Papier mit sehr vielen Linien und Zahlen. Dann ist es eine Baustelle, die einem täglich andere Sorgen beschert. Und ich vermute, wenn man bei der Einweihung zum ersten Male durch die Korridore und Zimmer wandert, sieht man als Architekt in erster Linie all die Kleinigkeiten, die noch unfertig sind, oder den feuchten Fleck an der Kellerwand; erst viel später, wenn der Bau eine Weile steht und bewohnt ist, kann man selbst ermessen, was man da eigentlich geschaffen hat. Je länger mein Besuch in der Welt eines Romans zurückliegt, desto „wirklicher“ wird diese Welt für mich – die Erinnerung an die trockenen Pläne und den Baustress verblasst, und zurück bleiben Bilder und Atmosphären, vergleichbar mit einer Auswahl der schönsten Urlaubsfotos.“

Eva: „Verabschiedet man sich innerlich von den Hauptfiguren, die einem doch sehr ans Herz gewachsen sind? Bist Du selbst irgendwie traurig, wenn Du Deine Figuren dann allein im Buchstabenwald zurücklassen musst?“

Ich: „In erster Linie bin ich erleichtert, die Geschichte so aufs Papier gebracht zu haben, wie ich sie in etwa haben wollte. Am Ende eines Romans steht also immer erst einmal ein großes Aufatmen. Das Buch ist fertig, das Haus ist nicht abgebrannt, Laptop und PC (mit der Sicherungskopie) nicht auf wundersame Weise gleichzeitig implodiert usw.
Ich wollte erst schreiben, dass es mir mit den Figuren ähnlich ergeht wie mit der Welt – d.h., dass sie mit wachsendem Abstand immer konkreter werden -, aber je länger ich darüber nachdenke, desto größere Zweifel kommen mir daran. Tatsächlich scheinen mir die Figuren – im Gegensatz zur Welt – während des Schreibens am greifbarsten zu sein, während sie danach ganz allmählich in so eine Art gedachten Setzkasten abdriften, wo sie stehen und vielleicht sogar ein bisschen staubig werden – bis ein paar von ihnen für Lesungen, Fortsetzungen und Ähnliches hervorgeholt und wieder blank poliert werden.“

Eva: „Leben Welt und Figuren wieder auf, wenn Du Fahnen lesen musst?“

Ich: „Fahnen lesen ist ein zweischneidiges Schwert. Ich werde auf der einen Seite nicht müde, dabei zu jammern und zu jammern …. und noch ein wenig mehr zu jammern. Auf der anderen Seite ist es für mich die erste Gelegenheit, das Buch ein wenig aus der Sicht eines Lesers zu durchleben. Plötzlich ist aus den Bausteinen – Welt, Figuren, Geschichte – eine runde, komplette Sache geworden. Das Bild ist ein Klischee, aber ich benutze es trotzdem, weil es einfach zutrifft: Das ist wie das Kind, das man achtzehn Jahre lang großgezogen hat, und dann wird es erwachsen und kümmert sich um sein eigenes Leben, und plötzlich steht man da, kratzt sich stolz am Kopf und fragt sich „Und daran war ich beteiligt?“.

Eva: „Ich habe gerade ein Bild fertig gemalt, an dem ich jetzt ziemlich lange gearbeitet habe, und es ist so als würde ich mich rückwärts aus dem Bild hinausbewegen. Eine imaginäre Tür wird geschlossen, es braucht mich nicht mehr. Das ist ein bisschen schade, aber wenn dann wieder neue Bilder im Kopf sind, ist es nicht sehr schlimm.“

Ich: „Das ist eine schöne Beschreibung, aber für mich selbst nur im Ansatz zutreffend. Ich werde selten melancholisch, was beendete Bücher angeht. Eigentlich geht der Spaß danach erst los, denn jetzt IST das Buch ja geschrieben, die Leute können es lesen, in seine Welt eintauchen und mir erzählen, was sie dabei empfunden haben.“

Eva: „Wann ist der Moment in dem ein Schriftsteller sein geschaffenes Werk genießt? Wenn es als Hardcover im Schaufenster des Buchladens steht? Nach ersten Leser-Reaktionen, oder sind es doch die Verkaufszahlen?“

Ich: „Ein Buch im Laden zu sehen ist im besten Fall ein tolles Erlebnis. Manchmal aber auch ein frustrierendes, weil es längst nicht immer dort steht, wo ich es gerne finden würde. Und man wird mit der Zeit auch ein wenig abgeklärt. Ein Beispiel: Vor zwei Tagen war ich mit Steffi in Köln und habe u.a. auch einen Blick in die beiden größten Buchhandlungen geworfen, um zu sehen, wie das Taschenbuch von DIE FLIESSENDE KÖNIGIN ausliegt. Gefunden habe ich mehrere Stapel, also eigentlich etwas, das sich jeder Autor wünscht. Nur eben, dass diese Stapel nicht vorne zwischen den übrigen Neuheiten lagen, sondern in der Jugendbuch- bzw. Fantasy-Abteilung. Was keineswegs eine völlig falsche Platzierung ist – aber eine etwas engstirnige, denn das Buch ist nicht ohne Grund in der „Allgemeinen Reihe“ bei Heyne erschienen, eben damit es auch jene Leser erreicht, die es normalerweise nicht in die Jugendbuchabteilungen verschlägt. Ich nehme also ein Taschenbuch in die Hand und sehe als Erstes, dass mir das Zitat auf der Rückseite nicht besonders gefällt – dabei ist es zweckgemäß ein sehr positives -, und dass nirgends ein Hinweis auf „Band 1 der Merle-Trilogie“ oder etwas Ähnliches zu finden ist. Eigentlich sollte ich mich also freuen, dass das Buch in so großer Stückzahl ausliegt, doch statt dessen grummele ich miesepetrig vor mich hin und lege das Buch mit Bauchschmerzen zurück auf den Stapel. „Undankbarer Blödmann!“ denken jetzt vermutlich ein paar Autoren, die noch nicht so viele Titel veröffentlich haben wie ich. „Erinnere dich mal dran, wie es dir früher ging! Oder uns heute!“ Ja, ja, ja, das weiß ich ja alles – und Tatsache ist auch, dass das Erscheinen eines Buches oft auch ein wirklich tolles Gefühl ist (nämlich dann, wenn ich in aller Bescheidenheit glaube, alles ist so gemacht worden, wie ich es selbst gern haben wollte – oder besser). Aber das ist nicht zwangsläufig IMMER der Fall, so dass eben auch statt Freude eine gewisse Unzufriedenheit einsetzt. Die legt sich dann erst wieder, wenn die ersten Leserreaktionen eintreffen oder eben auch die Verkaufszahlen (die, wenn sie hoch sind, natürlich nur dem tollen Inhalt zu verdanken sind, und, falls sie nicht ganz so toll ausfallen, selbstverständlich allein auf all die Fehler des Verlages zurückzuführen sind … denkt man sich so als Autor).“

2. März 2004
In ein paar Minuten fahre ich zum Lübbe-Verlag, um die neuesten Entwürfe für das MAGNUS-Cover zu begutachten. Mehr dazu in den nächsten Tagen.

3. März 2004
Der Optimismus beim Lübbe-Verlag ist allmählich ansteckend. Eine Menge strahlende Gesichter, nachdem eine Reihe von Leuten 100 Probeseiten gelesen haben. Mittlerweile müsste ich jedem, der im Verlag mit MAGNUS zu tun hat, die Hand geschüttelt haben. (Und Ende März nehme ich an der Vertreterkonferenz teil, um … nun ja, vermutlich den Außendienstlern als höflicher, gut erzogener Autor präsentiert zu werden.)
Am erstauntesten bin ich noch immer, dass in der zweiten Staffel von Cover-Entwürfen nahezu alle meine Anmerkungen zur ersten berücksichtigt wurde. Mittlerweile hängt eine Version, die der endgültigen nahe kommen sollte, an meiner Pinwand. Viel Stein. Große Schrift. Ziemlich genau das, was ich haben wollte.
Und bevor ich´s vergesse: Mittlerweile steht fest, wie umfangreich das gedruckte Buch sein wird – circa 940 Seiten. Ausgeschrieben: neunhundertvierzig. Aus so was bauen andere Leute Häuser.

4. März 2004
Ein paar Fragen aus dem Forum:

Gorat: „Beinhaltet das Expose nur die großen Szenen, die Triebkräfte, oder gibt es auch bereits Hinweise auf die Textausarbeitung, vielleicht sogar bereits fertige Textpassagen oder -dialoge?“

Ich: „Fertige Textpassagen so gut wie nie, höchstens ab und an mal ein paar Dialogsätze, die dann so oder ähnlich im fertigen Buch auftauchen können. Im Fall von AURORA werde ich wohl den ersten Satz des Exposés leicht abgewandelt auch als ersten Satz des Romans benutzen, einfach weil er mir so gut gefällt. Ansonsten versuche ich, alle Szenen zu beschreiben, die das Buch später braucht – trotzdem können es im Manuskript dann noch mal ein paar mehr sein (oder einige weniger). Insgesamt versuche ich das Exposé jedoch so aufzubauen, dass es eine komplette, runde Geschichte erzählt, auch wenn der Schluss – manchmal – noch offen oder sehr vage bleibt.“

Gorat: „Steht das Aussehen der Figuren schon fest?“

Ich: „Nur in besonderen Fällen. Meist beschreibe ich die Figuren nur mit ihren Namen und ein paar Hinweisen zu Charakter und Situation zu Beginn der Geschichte.“

Gorat: „Ist die Geschichte wirklich bis zum Ende mit jeder Wendung festgelegt? Bei MAGNUS gab es ja zum Schluss hin erneut das Schreiben eines Exposes. Wurde das erste somit nicht bis zu Ende geführt?“

Ich: „Das erste MAGNUS-Exposé hatte einen Schluss, der allerdings nur sehr flüchtig festgelegt war, nicht so detailliert wie der Rest der Geschichte. Meist gehe ich in solch einem Fall dann, wenn ich beim Schreiben des Romans an den entsprechenden Punkt komme, noch einmal hin und schreibe ein verfeinertes Exposé nur für die letzten Kapitel – und darin kann einiges durchaus ein wenig anders ablaufen als ursprünglich geplant (u.a. weil ich die Charaktere zu diesem Zeitpunkt viel besser kenne).“

Gorat: „Und natürlich die wichtige Frage: Ändert sich im Laufe des Schreibens noch viel an dem urspünglichen Ablauf? Werden Szenen ersetzt, Charaktere hinzugefügt, unterscheiden sich die Charaktere der Hauptpersonen plötzlich ziemlich stark von den ursprünglich beabsichtigten? Ändert sich das Alter einiger Darsteller, um plötzlich nötig gewordene Beweggründe oder Reife mit einbauen zu können?“

Ich: „Ich würde sagen, im Durchschnitt überleben etwa 75 Prozent der Geschichte den Sprung vom Exposé zum Roman unbeschadet, der Rest wird verändert oder merklich ausgebaut (manchmal auch gestrichen). Charaktere können sich in der Tat sehr wandeln, das passiert häufig. Was das Alter angeht, so bleibt es meist recht beständig, maximal ein paar Jahre mehr oder weniger.“

9. März 2004
Das MAGNUS-Cover steht noch immer nicht fest, nachdem auch die Lübbe-Vertreter ihre Meinung kundgetan haben. Gerade habe ich einen 4-Kilo-Band mit mittelalterlichen Malereien zur Post gebracht, nachdem ich der Grafikabteilung zuvor ein paar Farbkopien daraus geschickt hatte und man dort das dazugehörige Buch nicht mehr auftreiben konnte („Codices illustres“ aus dem Taschen-Verlag).

In der neuen Ausgabe von „Locus“, dem amerikanischen Branchenmagazin für Fantasy-, SF- und Horrorautoren, ist gerade erstmals der endgültige Titel abgedruckt worden, unter dem MAGNUS erscheinen wird. Ein wenig früher als erwartet. In den kommenden Tagen wird das Rätsel auch hier im Journal gelüftet. (Und ich möchte wetten, in irgendeinem Forum irgendwo im Netz kommt mir bis dahin jemand zuvor …)

17. März 2004
Mir fehlten noch 20 Seiten bis zum Ende der WASSERWEBER-Fahnen, als der Paketbote klingelte und mir die MAGNUS-Fahnen brachte – verteilt auf drei Umschläge, was ein wenig über den Umfang verrät.
Allerdings – und meiner Lektorin Anne habe ich dafür ein besserwisserisches „Siehste“ entgegen geschmettert – ist das fertige Buch doch „nur“ etwa 840 Seiten dick, nicht 940. Die höhere Angabe kam durch irgendeinen Rechenfehler in der Herstellungsabteilung zustande, und ich habe bis zuletzt gerätselt, wie aus 940 Manuskriptseiten ebenso viele Buchseiten werden sollten (bei einem Erwachsenenbuch sehr ungewöhnlich, im Gegensatz zu Jugendbüchern, die meist ein wenig größer gesetzt werden).
Jedenfalls habe ich DIE WASSERWEBER jetzt zurück zum Verlag geschickt und im fliegenden Wechsel mit den MAGNUS-Fahnen begonnen.

23. März 2004
MAGNUS reift derzeit gemächlich vor sich hin – was so viel bedeutet wie: Alles läuft wie vorausgesagt und geplant. Ich stecke bis zu den Ohren in einem Berg von Fahnen und spreche gleichzeitig mit Lübbe über die vier doppelseitigen Illustrationen, die jeden der vier Teile des Romans einleiten sollen. In einer Woche besuche ich die Vertretertagung des Verlages, muss dort aber nichts aus dem Manuskript lesen, was mich immerhin von der Sorge enthebt, mir bereits jetzt eine passende Stelle heraussuchen zu müssen. (Entgegen der landläufigen Meinung mancher Bibliothekare und Buchhändler – „Warum lesen Sie denn nicht DIESE Passage???“ – sind eben nicht alle Szenen eines Romans lesbar, jedenfalls nicht, wenn man eine Stunde oder weniger dafür zur Verfügung hat und nicht einen Großteil davon für Erklärungen der Zusammenhänge verschwenden will.)

29. März 2004
Während der Lesung auf der Leipziger Buchmesse habe ich zum ersten Mal den voraussichtlichen MAGNUS-Titel verraten, und dazu gleich noch ein paar Sätze zum Inhalt erzählt. Ende der Woche müsste endlich feststehen, dass es wirklich bei diesem Titel bleibt – dann kann ich ihn auch hier bekannt geben.

3. April 2004
Der endgültige Titel des Buches, das hier nun seit einem Jahr MAGNUS genannt wurde, lautet:

DAS BUCH VON EDEN

Im Forum war der Titel ja bereits vor ein paar Tagen für einige Stunden zu lesen, und in einem neuen Interview, das viel kurzfristiger ins Internet gestellt wurde, als ich dachte, taucht er sogar in der Überschrift auf. Ich persönlich hätte ihn gern noch ein paar Tage länger unter Verschluss gehalten, aber gegen die Geschwindigkeit des Internets kommt man kaum an. Nun denn, jetzt ist der Titel also offiziell publik.

Nachdem alle Leser des Journals seit über einem Jahr mit dem Arbeitstitel MAGNUS gelebt haben, kann ich mir vorstellen, dass es im Forum den einen oder anderen Kommentar geben wird wie „MAGNUS gefiel mir aber besser“. Alles eine Frage der Gewöhnung, schätze ich. Mir selbst fällt das Umdenken überhaupt nicht schwer: MAGNUS habe ich das Buch tatsächlich nur hier auf der Homepage genannt, der Arbeitstitel im Verlag, sogar schon auf meinem Vertrag, lautete schlicht „Eden“. Und wenn ich an den Roman gedacht oder im engeren Kreis darüber gesprochen habe, dann meist als „das Eden-Buch“. Ein einfaches „Eden“ war tatsächlich auch mein ursprünglicher Titelvorschlag, der dann nach einigen Gesprächen und Gegenvorschlägen zu DAS BUCH VON EDEN ausgebaut wurde. Und weil das Ganze tatsächlich DAS Buch zum Thema sein soll, ist es als Titel ein ziemlicher Treffer ins Schwarze. Ich bin jedenfalls sehr glücklich damit.

Sehr schön geworden ist übrigens auch das neue Cover, dass mir am Donnerstag während der Vertretertagung des Lübbe-Verlages präsentiert wurde. Nicht mehr ganz so martialisch wie die vorherige Version – allerdings nur auf den ersten Blick. Wer sich das zentrale kleine Bildmotiv genauer anschaut, wird staunen.

@Kai Meyer